Realismus, Mystik und Ekstase – eine einmalige Schau spanischer Barockkunst präsentiert die Kunsthalle München. Neben grandioser Malerei der großen Namen – von El Greco über Velázquez bis zu Murillo – sind kaum bekannte Meister und sensationelle Skulpturen zu entdecken.

»Die drei Musikanten« | © Staatliche Museen
zu Berlin, Gemäldegalerie, Foto: Jörg P. Anders

Was Edelmetall, Münzen und Reichtum betrifft war die goldenste Ära wohl das 16. Jahrhundert, als die spanische Silberflotte, die »Flota de Indias«, in Sevilla auslief und landete und der gesamte Handel mit der Neuen Welt in dieser damals reichsten Stadt der Erde abgewickelt wurde. Im Reich Kaiser Karls V. ging die Sonne nicht unter, sein Sohn Philip II. machte Madrid zur Hauptstadt und errichtete die Klosterresidenz El Escorial, den größten Renaissancebau der Welt. Mit diesem Datum als Prolog setzt die Ausstellung in der Kunsthalle München ein, die das 17. Jahrhundert, das »Siglo de Oro« der spanischen Kunst, feiert. Dieser Versuch einer Gesamtdarstellung ist eine einzigartige Schau allein schon aufgrund der Leihgaben, die hier aus Spanien, Europa und den USA in einer Kooperation mit den Staatlichen Museen zu Berlin und von deren Kuratoren Roberto Contini und María López-Fanjul y Díez del Corral zusammengebracht wurden.

Die grandiose Kunstblüte in Krisenzeiten – in der Eisernen Zeit, wie sie Cervantes’ Don Quixote nannte – ist ein Phänomen, denn am Ende der Regentschaft Philips II. (1598) hatte der rasche Niedergang der Weltmacht schon begonnen. Bei Hofe waren niederländische und italienische Maler in Gunst gestanden und mit den repräsentativen Aufträgen betraut worden, allen voran Tizian, und das blieb auch Anfang des 17. Jahhunderts so. Die spanischen Künstler waren – anders als in Italien oder Frankreich, wo Malerei und Skulptur zu den Freien Künsten zählten – zünftige Handwerker, die Umsatzsteuer zahlen mussten.

Maria schwebt über Toledo

Von miesen Produktionsbedingungen erzählt auch die »Atelierszene« (1670) von José Antolínez, wo ein Mann in abgerissener Kleidung ein kleines, inniges Madonnenbild präsentiert: ein Künstler oder »Bildhändler«, der Massenware wie Grafik und minderwertige Gemäldekopien für den kleinen Geldbeutel feilbietet. Tatsächlich dominierten sakrale Kunst und religiöse Themen quantitativ den Bedarf der Epoche, entsprechend liegt hier auch der Schwerpunkt der Ausstellung. Die präsentiert neben großen Namen wie Ribera, Zurbarán und Murillo auch interessante Werke wenig bekannter Künstler, so ein virtuoses Vanitas-Bücherstilleben eines Unbekannten.

Nicht fehlen dürfen natürlich Porträts der drei letzten Habsburger-Herrscher: Kindkönig Karl II. (der 1665–1700 regierte), sein Vater Philipp IV. (1621–1665) und Philipp III. (1598–1621), der einem gleich im ersten Raum begegnet, mit prunkvoll-steifem Ordensfestgewand als Ritter des Goldenen Vlieses, gezierter Gestik, ohne Individualisierung (deshalb mit weniger ausgeprägter Habsburgerlippe). Diese erste von zwölf thematischen Stationen beherrscht die dreieinhalb Meter hohe »Unbefleckte Empfängnis« von El Greco (1613), bei der Maria inmitten der Engelsschar im jenseitigen Himmel schwebt, über der Stadt Toledo.

Aus einer dortigen Kapelle stammt das Hochaltarbild, denn die Ex-Hauptstadt war religiöses Zentrum, und dort realisierte El Greco, der keine königlichen Aufträge bekam, seine thematischen und stilistischen Innovationen in sakralem Kontext. Ein visionäres und irritierendes Spätwerk, das die Erregung verständlich macht, mit der ihn die Künstler des Blauen Reiter und Hand vom Kreuz löst, um ihm seine Dornenkrone aufzusetzen. So triumphiert man über die mit bloßen Füßen getreten Bestie des Bösen! Beispielhaft auch in seinem an Caravaggio geschulten, dramatischen Realismus.

Für Manet der »bedeutendste Maler aller Zeiten«

Die vielen Maler standen untereinander in Konkurrenz – und zugleich mit den Bildhauern, deren Skulpturen wegen ihrer lebensechten Wirkung von Kirchen und Klöstern weit stärker nachgefragt wurden. Welchen »Realismus«, welche Effekte bemalte, auch mit Stoff bekleidete Figuren erzielen konnten, lässt sich in der Kunsthalle intim studieren. Der Illusionismus durch die Polychromierung der Schnitzfiguren, die spezialisierte Maler ausführten, wird gesteigert durch Augen und Tränen aus Glas, Blutspuren, mit weichen Materialien modellierte Wunden, Zähne und Nägel aus Elfenbein. Dynamische Figurengruppen werden – bis heute – in Bewegung versetzt auf Prozessionen getragen. Dem Erlöser ganz nahe brachte einen auch ein einzigartiger kastilischer Figurentypus, »Der tote Christus« im Grab, lebensgroß auf Kissen und Laken gebettet.

In der Ausstellung hat man das Werk von Gregorio Fernández (1627) mit flackernden Kerzen gerahmt – Kultatmosphäre! Der Großmeister der Epoche machte auch den größten Schritt. Diego Velazquez ging ganzfigurige Porträts sowie Philosophen- und Hofnarrenbildnisse lieferte. In deutschen Museen ist der, Manet zufolge, »bedeutendste Maler aller Zeiten« so gut wie nicht vorhanden. Mehr als schön, dass nun neben Werkstattbildern sieben eigenhändige Werke hier zu Gast sind.||

SPANIENS GOLDENE ZEIT. DIE ÄRA
VELÁZQUEZ IN MALEREI UND SKULPTUR
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
Theatinerstr. 8 | bis 26. März| täglich 10–20 Uhr | Katalog (Hirmer Verlag, 336 S., 206 farb. Abb.) zum Mitnahmepreis in der Ausstellung 29 Euro | | Kuratorenführung mit Nerina Santorius: 9. Feb./23. März; Expertenführung zu wechselnden Themen: 21. Feb., 14. März(jew. 18.30 Uhr) | Gratis-Vorträge im Instituto Cervantes, Alfons-Goppel-Str. 7: 1. Feb., Sven Kielgas: »Marketing für den Glauben«; 22. Feb., Bernhard Teuber: »Literatur und Kunst in Spaniens Goldener Zeit«; 8. März, Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus: »Glaubensspektakel. Skulpturen in den spanischen Osterprozessionen« (jeweils 18 Uhr); 3.–4. Februar, Öffentliche Tagung »Verblüffen und überwältigen«

 


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