Bodrožićs neues Buch »Das Wasser unserer Träume« tönt hohl vor lauter Innerlichkeit.
Die Grenze zwischen Prosa und Poesie war bei Marica Bodrožić immer schon durchlässig. Zwischen schmucklos schlichten Sätzen trifft man auf lyrische Bilder und wundersame Wortschöpfungen. Bereits für ihr literarisches Debüt »Tito ist tot«, in dem sie mit großer sinnlicher Intensität vom Zauber und Schrecken einer Kindheit in Dalmatien erzählte, erhielt sie den Heimito-von-Doderer-Preis, die erste von vielen Auszeichnungen.
Die in Kroatien geborene Autorin hat die deutsche Sprache auf neue Weise zum Klingen gebracht und ihr mit »Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern« eine berührende Liebeserklärung geschenkt. »Das Größere der Freiheit ist mir im Deutschen möglich geworden, gerade durch den Entzug des Vertrauten«, erklärte sie dort. Marica Bodrožić war frei von der Scheu vor als veraltet und kitschnah verpönten Wörtern, die in der lakonisch gezeichneten Alltagswelt ihrer Figuren plötzlich wieder hell leuchteten. Zunehmend wurde allerdings auch die Gefährdung ihres Schreibens deutlich, ihre Neigung Prosatexte mit poetischen Bildern zu überfluten. Nie aber hat sie dies so überschwänglich getan wie in ihrem neuen Roman.
»Das Wasser unserer Träume« bildet den Abschluss einer Trilogie. Wer »Das Gedächtnis der Libellen« und »Kirschholz und alte Gefühle« gelesen hat, wird Nadeshda, Ilja und Arjeta wiedererkennen, doch das ist für die Lektüre nicht nötig. Vorangestellt ist dem Roman ein Novalis-Zitat, und tatsächlich versucht hier eine Autorin, die programmatischen Forderungen der Romantiker im Hier und Heute literarisch einzulösen. Dafür greift sie zu einer kühnen Setzung: Sie taucht ein in den Gedankenstrom eines Mannes, der nach einem Unfall im Koma liegt und sein Gedächtnis verloren hat.
Ein »neues Herzalphabet«
In sich »eingeeinsamt« erlangt Bodrožić’ Ich-Erzähler eine höhere Bewusstseinsebene. Er kann die Gedanken der Menschen um ihn und sogar ihr Blutbild lesen, in dem sich bei dem einen seine innere »Unordnung« zeigt, bei dem andern »pinkfarbene Luftballons« als ein »Bild des Universums« harmonisch schwingen. Der namenlose Komapatient ist dem Rationalismus der Gegenwart entfremdet, spürt seine »Zugehörigkeit zum Ozeanischen« und die Verbundenheit aller Wesen. Er lehnt sich auf gegen die »nutzenorientierte Gedankenwelt« der Ärzte und der »Organmafia«, wider die er mantraartig die Sinnspenderin Liebe beschwört.
Jede seiner Wahrnehmungen ist mit tieferer Bedeutung aufgeladen, selbst ein Pieksen in seiner Niere sind »kleine Lichtergüsse«, eine »Vorbereitung innerer Gebete«. In mannigfachen Variationen spielt
Bodrožić mit der Herzmetapher: Der Kranke »herzpilgert«, erkennt ein »neues Herzalphabet« und den in sehr nebulöse Sphären verweisenden »Herzhorizont des schweigenden Raben«. Allein so viel weltweise Innerlichkeitspoesie wirkt ermüdend und irgendwann tönt der hohe Ton hohl. Man fühlt sich erschlagen von den Ergriffenheitsappellen, der Fülle an Zitaten von Zhuangzis Schmetterlingsgleichnis über Paulus’ Korintherbrief bis zu Tolstois »Auferstehung« und an mystisch raunenden Merksätzen wie: »Kreise sind wissende Altäre«.
Wenn der Erzähler am Ende sein Gedächtnis wiedergewinnt, sich an sein früheres Leben erinnert, erscheint dies fast nebensächlich. Die Romanhandlung dient Bodrožić als Gerüst für eine esoterikaffine Philosophie, in die sie all das eingewoben hat, wovon das Unbehagen an den Ernüchterungen der Moderne heute begleitet wird: die Kritik am Rationalismus, einer Medizin, die den Körper als Maschine betrachtet, die Sehnsucht nach »Ganzheit«, einer beseelten Natur und einem sinnhaften Universum. Dem mag man zustimmen oder auch nicht. Literarisch kann man sich nur wünschen, dass Marica Bodrožić von ihrem spirituellen Höhenflug in die Welt prosaischer menschlicher Erfahrungen zurückkehrt. ||
MARICA BODROŽI:
DAS WASSER UNSERER TRÄUME
Luchterhand Literaturverlag, 2016
224 Seiten | 22 Euro
LESUNG
Literaturhaus, Bibliothek| 26. Januar
20 Uhr | Moderation: Riccardo Nicolosi und
Mara Maticevic
Website
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