»Diamond Island« lässt den Zuschauer die Wirklichkeit eines bisher noch wenig erschlossenen Kinolandes entdecken – Kambodscha. Regisseur Davy Chou erzählt darin von modernen Mythen und der Aufbruchstimmung einer jungen Generation.
Wer an asiatisches Kino denkt, dem kommen Takeshi Kitano, Martial Arts oder Hongkong-Thriller in den Sinn – Arthousefreunde mögen noch an Korea, die Philippinen oder Thailand denken. Dessen östlichen Nachbarn Kambodscha dagegen kennt man hier allenfalls als Schauplatz der monströsen Verbrechen unter Diktator Pol Pot. Dabei besaß das Land bis zur Machtübernahme von dessen Roten Khmer in den siebziger Jahren eine florierende Filmindustrie.
Von dieser Blütezeit erzählt der 2011 entstandene Dokumentarfilm »Le Sommeil d’Or« (Golden Slumbers) von Davy Chou. Der in Frankreich als Sohn kambodschanischer Emigranten geborene Regisseur hat nun seinen ersten Spielfilm im Land der Vorfahren gedreht. Mit »Diamond Island« war er im Sommer zu Gast auf dem Filmfest München. Chou erzählt darin die Geschichte des jungen Bora, der mit einem Gefährten aus seinem ärmlichen Dorf aufbricht, um in der Hauptstadt Phnom Penh auf einer Großbaustelle Geld für die Familie zu verdienen. Unter dem Namen Diamond Island soll dort bald ein luxuriöser Apartmentkomplex entstehen – gleich zu Beginn des Films preist ein Werbespot säuselnd die Vorzüge der Anlage an.
»Das ist ein Teil dieses Mythos der Moderne, in dem wir ständig von Werbung umgeben sind und ein Gefühl ständiger Erneuerung erzeugt wird«, meint Chou. Solche dokumentarischen Einsprengsel begegnen uns in dem behutsam beobachtenden Film immer wieder. »Phnom Penh ist derzeit eine einzige große Baustelle. Überall sieht man junge Männer mit sonnengegerbter Haut, weil sie ständig in der prallen Sonne arbeiten müssen«, berichtet Davy Chou. Er hat lange gebraucht, um sein fast ausschließlich aus Laiendarstellern bestehendes Ensemble zu finden – in Kambodscha gibt es kaum professionelle Schauspieler.
Eine Ausnahme macht in »Diamond Island« ein berühmter Clown, der als Boras Kollege Birak mit diesem um die Gunst eines Mädchens buhlt: Während der verträumte Bora seinen vor Jahren verschwundenen Bruder sucht, versucht der hibbelige Birak andauernd Fakten zu schaffen. Mit seiner Filmleidenschaft wandelt der mit hochtoupierten schwarzen Haaren und einer winzigen randlosen Brille extravagant wirkende Chou auf den Spuren seines Großvaters. Dieser war der größte Filmproduzent Kambodschas, bevor er 1969 unter bis heute ungeklärten Umständen entführt wurde – und für immer verschwand. »Meine Eltern dagegen interessieren sich überhaupt nicht für Filme.« Während sich seine Geschwister ausschließlich als Franzosen verstehen, spricht Davy Chou inzwischen passabel kambodschanisch und wird von den dortigen Kollegen als einer der ihren erkannt – »aber diese Labels interessieren mich nicht«.
Das merkt man auch »Diamond Island« an, der sich trotz seines authentischen Äußeren immer wieder traumwandlerische Pausen nimmt, in denen die Zeit für den wortkargen Protagonisten einzufrieren scheint. In diesen Phasen erinnert der Film an Werke des Thailänders Weerasethakul, den Davy Chou als wichtigen Einfluss nennt. Er hat in Kambodscha eine Produktionsfirma gegründet. Bisher finden Filme dort fast nur über Raubkopien Verbreitung. Inzwischen siedeln sich auch Kinos an, die gut besucht sind. »Im Land herrscht eine Aufbruchstimmung. Es gibt dort noch diesen Sinn für Wunder. Das macht für mich auch die Kinoerfahrung aus: etwas zum ersten Mal zu sehen.« ||
DIAMOND ISLAND
Kambodscha, Frankreich, Deutschland 2016 | Regie: Davy Chou
Mit: Sobon Nuon u.a. | 99 Minuten | Kinostart: 19. Januar
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