Im Mittelalter das Höchste: Bücher mit Bildern! Beispiele meisterlicher, luxuriöser und kurioser Buchillustration von 1400 bis 1540 sind in den Schatzkammern der Staatsbibliothek zu bewundern.
Da vergnügen sich ziemlich menschelnde Affen mit einem Weinkrug, und auf einer riesigen Rübe posiert ein fescher Landsknecht. Zwischendrin schnattert ein Kuckucksweibchen, und daneben balanciert ein nicht mehr ganz zartes Jesulein auf einer Rose. Beim Heiligen Geist, der über allem schwebt: Kaiser Maximilian I. hat sich beim Beten ganz bestimmt nicht gelangweilt! Sofern er überhaupt einen Blick in die kostbare Vorlage warf. Sein persönlicher reich verzierter Band gehört zum Besten der Buchmalerei des frühen 16. Jahrhunderts und steht im Mittelpunkt einer kleinen, exquisiten Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek.
Ein wundersames Unicum, getrennt und wieder vereint
Das keineswegs handliche Trumm, das in einer der zwei »Schatzkammern« im ersten Stock bei gedämpftem Licht präsentiert ist, wurde 1513 bei Johann Schönsperger in Augsburg auf Pergament gedruckt. Die fein gesetzte Gebetbuchfraktur lässt an eine Handschrift denken, zehn Exemplare dürften es damals gewesen sein, wobei wohl nur das des genannten Habsburgers mit erlesenen Zeichnungen geschmückt ist. Und wie es sich für einen Kaiser gehört, waren die Topkünstler der Zeit am Werk: Hans Burgkmair, Albrecht Altdorfer – von ihm stammt der eingangs beschriebene Reigen, der das Marienoffizium rahmt – Hans Baldung Grien, Jörg Breu, Lucas Cranach d. Ä. und der alles überragende Albrecht Dürer.
So weit, so delikat. Man kann sich in diesen kuriosen Welten aus Heiligen, Rittern, Engeln und Teufeln, Fabelwesen und Waldtieren leicht verlieren. Der Clou indes ist, dass die beiden Teile des nach dem Tod Maximilians getrennten Gebetbuchs nach 60 Jahren erstmals wieder gemeinsam zu sehen sind.
Neben dem Münchner Part liegt nun das Gegenstück, das im französischen Besançon aufbewahrt wird. Als die Bayern 1907 ein Faksimile herstellen wollten, lehnten die Konservatoren der dortigen Bibliothèque Municipale eine Leihgabe ab, die Rückkehr schien den Franzosen nicht so sicher zu sein. Also wurde an beiden Orten aufgenommen. Dass beide Teile 1956 im Haus der Kunst ein letztes Mal zusammenkamen, war nach dem Krieg schon ein kleines Wunder.
Erst recht dürfen solche Empfindlichkeiten heute die Klimatresore nicht mehr verlassen. Eigentlich.
Der Übergang vom handschriftlichen zum gedruckten Buch wird gerne mit dem medialen Wandel der Gegenwart verglichen. Ganz so plötzlich vollzog sich diese Entwicklung allerdings nicht. Gleichwohl ermöglichte der Buchdruck nie da gewesene Streuungen, die Übertragungsfehler, die sich durch x-faches Abschreiben eingeschlichen hatten, sanken auf ein Minimum, und wer Aufmerksamkeit erreichen wollte, setzte natürlich auf Druckware. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam es zu einem enormen Anstieg der Buchproduktion. Illustrieren konnte man mit Holzschnitten, die – wenn überhaupt – einigermaßen schnell per Hand zu kolorieren waren. Gedruckt wurde, was sichere Abnehmer fand, von Anfang an. Bereits Johannes Gutenberg entschied sich um 1452 ganz ökonomisch, zuerst eine lateinische Bibel aufzulegen, die ließ sich bei den Klöstern in hoher Zahl absetzen. Hinzu kamen Schulbücher, Kalender und die begehrten Ablassbriefe fürs käufliche Seelenheil.
Bibelgeschichte und neue Weltsichten
Selbstredend ist auch eine Gutenberg-Bibel ausgestellt, ein besonders schönes Beispiel, das durch die Säkularisation aus Andechs nach München kam und dessen Seiten mit den Ranken eines anonymen Miniators eingefasst sind. Sowieso kann man sich hier durch eine hochkarätige Geschichte der Bibel gucken. Von Kernstücken wie der um 1430 wahrscheinlich in Ingolstadt entstandenen Ottheinrich-Bibel über das Münchner Exemplar der Furtmeyr-Bibel mit einer eleganten Maria lactans und auffallend plastischem Goldauftrag – der Regensburger Berthold Furtmeyr gehörte zu den international gefragten Star-
Buchmalern – bis zur Lutherbibel aus Wittenberg. Letztere weist neben den Miniaturen Lucas Cranachs und den kolorierten Holzschnitten aus dessen Werkstatt einige Einträge von der Hand Philipp Melanchthons auf, Luthers intellektuellem Pendant aus Württemberg. Beide Köpfe der Reformation sind eindrucksvoll porrätiert, gleichwohl stereotyp, es ging schließlich um einen hohen »Output«. Aber just dieses Bildnis Luthers hat sich Millionen Menschen eingeprägt – Anhängern wie Gegnern.
Der Titel »Aufbruch zu neuen Ufern« meint jedoch nicht nur den Medienwandel und die Veränderungen in der Kirche. In diesem letzten Teil der Ausstellungstrilogie »Bilderwelten. Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit« geht es genauso um die Entdeckung des Lebensraums, des Kosmos oder zumindest der Vorstellung davon, um die Darlegung der Wissenschaften und der Pseudowissenschaften. Weltchroniken wie die des Nürnbergers Hartmann Schedel (1493) fanden großes Interesse, Reiseberichte wurden gierig verschlungen, Kartenmaterial und Weltkugeln waren nicht nur bei den frühen Globetrottern gefragt.
Für lebensbestimmend hielt man die Planeten
Und auch hier kann die Staatsbibliothek aus dem Vollen schöpfen. Auf einem 1505 bei Johann Froschauer in Augsburg erschienenen Einblattdruck sind Indianer abgebildet; Martin Waldseemüller hat 1507 einen Globus zum Ausschneiden und Zusammenkleben gedruckt – übrigens schon mit der Bezeichnung Amerika für den neuen Kontinent. Und alles gehörte ja auch irgendwie zusammen: Astronomie und Astrologie, Glaube und Aberglaube, und wenn es sich anbot, kamen gleich noch detaillierte medizinische Abhandlungen hinzu wie in einer bayerisch-schwäbischen Sammelhandschrift (um 1485) mit der anatomischen Darstellung einer Schwangeren und den dazugehörigen Kindslagen. Etwas heftiger ist in diesem Kodex (Cgm 597) der »Wundenmann mit Waffen« – so schaut’s aus, wenn man von Messern und Dolchen und Nägeln massakriert wurde. Ob diese Gedächtnishilfe für Chirurgen im Ernstfall wirklich weiterhalf, darf bezweifelt werden.
Doch die Macht der Medizin war in mehrerlei Hinsicht überschaubar. Für lebensbestimmend hielt man die Planeten, vor allem deren Stellung bei der Niederkunft. Das zeigt nicht nur eine Darstellung der Planetenkinder im berühmten Hausbuch der Fürsten Waldburg-Wolfegg (um 1480), die astrologischen Kodizes sind voll solcher Bezüge. Sterndeuter waren an den Höfen gefragte Fachkräfte, ihr Einfluss oft immens, und das noch weit über hundert Jahre später. In der Neuen Pinakothek – jetzt sind wir im Vergleich zur intimen Buchmalerei bei den astronomischen Formaten Carl von Pilotys – steht der Astrologe und Leibarzt »Seni an der Leiche Wallensteins«, der bekanntlich 1634 das Zeitliche segnen musste. Auf dem Tisch: ein Globus und Folianten.
Es ging eben schon früher nichts über Bücher, egal, was drinstand. Ein Vir prudens, ein kluger Mann, schwenkt am besten ein geöffnetes Bändchen. So, wie der nobelberockte Bildungsbürger in einem moralisch-didaktischen Kompendium, das im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts in Regensburg entstanden ist. Wobei man sich erst in unseren Tagen erklären kann, was der schlaue Kerl da ans Ohr hält: ein Handy, logisch. Im Zweifelsfall weiß ein mobiles Phone doch immer mehr. Nicht wahr? ||
AUFBRUCH ZU NEUEN UFERN
Bayerische Staatsbibliothek,
Schatzkammern (1. OG)| Ludwigstr. 16
bis 24. Februar 2017| Mo bis Fr 10–17 Uhr,
Do bis 20 Uhr, 1. So im Monat 13–17 Uhr,
Eintritt frei
Der reich illustrierte Katalog (256 S., Quaternio Verlag Luzern) kostet als Ausstellungsausgabe
29,80 Euro | Einen Einstieg in die gesamte Ausstellungstrilogie bietet die Website www.bilderwelten2016.de | Das Gebetbuch von Kaiser Maximilian I. kann man digital komplett betrachten:
http://daten.digitalesammlungen.de/db/0010/bsb00107790/images/
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