Frau und Flüchtling – was das heißt, zeigt Abdullah Kenan Karaca mit »Medea« im Volkstheater.

Julia Richter als Medea | © Arno Declair

Julia Richter als Medea | © Arno Declair

»Mutter erschlägt Kinder!« So würde die Schlagzeile der Boulevardblätter lauten. Und dann käme das ganze traurige Schicksal der Familie aufs Tapet. Wie Medea, Spross der Götter, sich in den Argonauten Jason verliebte, ihm half, das goldene Vlies ihres Vaters zu rauben, und aus ihrer Heimat Kolchis fliehen musste. Wie sie durch die Welt zogen auf der Suche nach einer neuen Heimat und in Korinth landeten. Wie Jason sie verließ und die Tochter des Königs ehelichte, um gesellschaftlich zu reüssieren.

Jetzt steht die Betrogene, als Barbarin stigmatisiert, im fremden Land alleine da mit ihren zwei Söhnen. In Abdullah Kenan Karacas Inszenierung von Euripides’ »Medea« wird aus dem Vorhof von Medeas Palast in Korinth eine Abschiebezelle irgendwo am Flughafen (Bühne: Vincent Mesnaritsch). Ein schräg auf die Bühne gestellter Betonwürfel, in dem vier schmutziggrüne Plastikschalensitze am Boden festgeschraubt sind, drumherum nur grauer Beton mit Lüftungsschlitzen. Aus den grauen Wänden raunt und murmelt es, als ob Gedanken wild auf sie einstürmten. »Hau ab, Kindermörderin.« Am Anfang steht schon das Ende.

»Stellung, Würde, Heimat, Vater, Bruder – das alles opferte Medea, um mit Jason zu fliehen«

Da kann Medea ja nur mit dem Kopf gegen die Wand rennen, die wie eine Trommel dröhnt. Hinter einem Einwegspiegel tauchen Männer wie Geister auf: Oliver Möllers blondtolliger Helmut-Berger-Verschnitt ist Kreon. Dem ist Medea nicht geheuer. Er will sie ausweisen, mitsamt ihren Kindern. Zuflucht bietet Ägeus (Leon Pfannenmüller als smarter Technokrat), König von Athen, der sich von der Zauberin und vielleicht auch der Frau Medea, Kindersegen verspricht. Ihre Zukunft wäre also gesichert. Wenn da nicht der Schmerz wäre. Über den Verlust von Stellung, Würde, Heimat, Vater, Bruder – das alles opferte Medea, um mit Jason zu fliehen. Jason, der ihr alles verdankt und sie mit der verlogenen Attitüde fallen lässt, er tue das nur der Familie zuliebe. Und so sinnt sie auf etwas, das ihn mehr trifft als der eigene Tod: ihn leben lassen und die Kinder töten.

Julia Richters blasse, hohläugige Medea ist eine wilde Frau. Die das Schicksal der Frauen beklagt, die den Bräutigam nicht ablehnen können und ihn mit ihrer Mitgift auch noch bezahlen müssen. Die schreit und tobt und die Zähne fletscht. Man kann sich nicht vorstellen, was sie an Moritz Kienemanns milchbubihaftem Jason findet, der mit falsch weiß leuchtendem Gebiss Heucheleien absondert und sich vor ihrer scharfen Zunge duckt. Anfangs ist man platt von der Stärke, mit der Julia Richter, die neu im Ensemble ist, diese missachtete Frau spielt.

»Und am Schluss ist alle Wut aufgebraucht, da herrscht nur Traurigkeit.«

Im Lauf des kurzen Abends wird diese innere Stärke jedoch im hochgereckten Kinn zu Erstarrung. »Wo soll ich hin? Wer nimmt mich auf?«, fragt Medea. Solidarität kann sie nur von Frauen erwarten. Mara Widmann als mitfühlender Chor und Luise Kinner als anstachelnde Amme flankieren in mörderischen
Highheels (Kostüme: Sita Messer) Medeas Zelle wie eine Leibwache und stehen ihr in ihrem Furor bei.

Karaca thematisiert nicht nur die Einsamkeit des Flüchtlings in der Fremde. Auch die Isolation von Frauen in einer Männerwelt, die aus Pappnasen wie den hier vorgeführten besteht. Er findet aber auch Bilder für die Liebe, die es mal gab zwischen Medea und Jason. Im Einwegspiegel schieben sich ihre Figuren in einer Art Pas de deux übereinander. Und am Schluss ist alle Wut aufgebraucht, da herrscht nur Traurigkeit. ||

MEDEA
Volkstheater| 16. Dez., 4., 5., 21. Jan.,
7. Feb.| 19.30 Uhr | Tickets 089 5234655
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