Jim Jarmuschs lakonische Meditation »Paterson« lässt Adam Driver die Poesie in den Dingen des Alltags finden.
An der Croisette in Cannes spaltete er in diesem Jahr die internationale Kritik: »Paterson«, der neue Spielfilm von Jim Jarmusch mit einem gleichnamigen Protagonisten in einer gleichnamigen Kleinstadt. Die einen lobten die stille Kraft in Jarmuschs neuestem Werk, seine betonte Künstlichkeit, seinen unbedingten Willen zur poetischen Form – einem so direkt sicherlich neuartigeren Aspekt in der Filmografie des US-amerikanischen Cheflakonikers.
Andere wiederum tadelten jene narrativ wenig aussagekräftige Auseinandersetzung der Indiefilm-Ikone mit den schlichten »Dingen des Lebens« (Claude Sautet), der bloßen Banalität im alltäglichen Einerlei eines poetisierenden Busfahrers mit Adam Driver in der Titelrolle und seinem hibbeligen Generation Y-Gschpusi Laura (Golshifteh Farahani). Garniert mit der in der Tat grandios miesepetrig dreinschauenden Bulldogge Marvin und einigen neuen, wiederum sehr typischen Jarmusch-Gestalten (wie beispielsweise einem im Waschsalon einsam vor sich hin rappenden, desillusionierten Wanderprediger, gespielt von Method Man) wird »Paterson« mit Sicherheit nun auch die deutschen Zuschauer in zwei Lager spalten. Was soll denn das Ganze vs. Oh, dieser Dinglyrik-im-Alltag-Zauber: Dazwischen wird es nichts geben – zum Glück.
Denn im Grunde verhandelt der Regisseur, der zuletzt kaum noch Produktionsgelder für seine Projekte zusammenbrachte, in diesem durchaus fordernden, aber teilweise auch ebenso glücklich machenden Filmpoem das Nichts, eben die Nullpunkte des Lebens. Immer derselbe Weg zur Arbeit, immer derselbe Spaziergang zur immer selben Kneipe am Abend mit den immer selben Visagen, bis am darauffolgenden Tag dieselbe Chose von vorne beginnt – scheinbar zumindest.
Jim Jarmusch ist nämlich klug genug, jenen »Und täglich grüßt das Murmeltier«-Modus fein austariert von Tag zu Tag ein klitzekleines Stück zu variieren: weitgehend wirklich nur in Nuancen und rational nicht immer automatisch erklärbar, aber visuell immer noch so raffiniert, manchmal sogar überbordend wie bei der leider ein bisschen zu oft gezeigten Szene am Wasserfall aus dem Geiste von »Twin Peaks«, dass man trotzdem unweigerlich dran bleibt an dieser Nicht-Geschichte. Sechs Schauspieler – wie bei Luigi Pirandello – sind es nicht einmal, die im Grunde einen Autor in dieser reichlich um Autorschaft wie Wirkungsmacht kreisenden Szenerie suchen, aber immerhin zwei Schauspieler – und ein Hund: So viel Jarmusch muss dann schon sein.
Zwischendurch vielleicht gar nicht so unangenehm in dieser stark stilisierten, mehr als nur zenbuddhistisch angehauchten »Entdeckung der Langsamkeit« (Sten Nadolny) à la Jarmusch. Der kann derweil schweigen oder drehen – bis zum nächsten Film, wenn es denn einen solchen überhaupt noch geben wird. Ohm, Ohmm, Ohmmm … ||
PATERSON
USA 2016 Regie: Jim Jarmusch
Mit: Adam Driver, Golshifteh Farahani u.a.
123 Minuten | Kinostart: 17. November
Der Film auf Amazon Prime Video
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