Im zweiten Teil ihrer NSU-Trilogie nimmt die Regisseurin Christiane Mudra sich die Parallelwelt der V-Männer vor.
Dass sie kein Durchhaltevermögen hätte, kann man Christiane Mudra nicht nachsagen. Seit 2013 sitzt die Regisseurin regelmäßig stundenlang im NSU-Prozess in München. Und nicht nur dort. Auch den NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin, der unter anderem offene Fragen hinsichtlich der Arbeit der
Behörden klären soll, besucht sie regelmäßig. Wenn es interessant wird, müssen die Zuschauer aber meistens gehen. Und die Parlamentarier dürfen aus obskuren Geheimhaltungsgründen nicht über das reden, was sie erfahren haben. Transparenz sieht anders aus.
»Off the record« rückt der ein oder andere aber doch gelegentlich mit Infos heraus, und wenn es nur ist, um sich selber von jeder Verantwortung reinzuwaschen. Also besteht Christiane Mudras gleichnamiges Live-Hörspiel nicht nur aus Fakten und O-Tönen des Prozesses und Untersuchungsausschusses, sondern auch aus inoffiziellen Äußerungen aller möglichen Personen aus dem Umfeld der NSU-Ermittlungen. Fiktiv ist in dieser Performance nicht mal eine halbe Seite Text. »Die ganze Geschichte ist so krass, da muss man nichts mehr draufsetzen«, meint Christiane Mudra dazu. Drucken könne man vieles in einer Zeitung trotzdem nicht. Aber: »Das Theater kann Behauptungen aufstellen, für die Journalisten es schwarz auf weiß brauchen.«
Das sei der Vorteil der Kunst. Hätten wir einen US-amerikanischen Blockbuster vor uns, käme ein redliches Mitglied des Untersuchungsausschusses einer Verschwörung der Geheimdienste auf die Spur und würde einen unabhängigen Richter dafür gewinnen, diejenigen, die sich an der Verfassung vergehen, mit aller Macht des Gesetzes zu bestrafen. Wir sind aber nicht in Hollywood und auch nicht in Wolkenkuckucksheim, trotzdem, ein wenig Utopie gönnt sich Mudras Performance am Schluss schon. Auch wenn diese Utopie letztendlich nur imaginiert, was eigentlich in einem Rechtsstaat geschehen müsste.
»Off the record – Die Mauer des Schweigens« bringt Prototypen zusammen: den redlichen Parlamentarier, der ernsthaft an der Aufklärung des NSU-Terrors und der Rolle der Geheimdienste darin interessiert ist, den Journalisten auf der Suche nach der Story und drei fiktive Vertreter von Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft und Regierung. Es gehe schon lange nicht mehr um ein paar wild gewordene Nazis, die Leute umbringen, sondern um eine Staatskrise, in der die Institutionen ihre Funktionen nicht mehr erfüllen, meint Christiane Mudra, die inzwischen so sehr in dem Thema drin ist, dass sie Namen, Orte, Daten, Strafregister parat hat wie eine wandelnde Wikipedia. Und eins und eins zusammenzählt: »Wer ist gemeinsam mit wem durch welche Skandale gegangen? Sehr erhellend!«
Ihr geht es um nichts weniger als den demokratischen Grundwert der Gewaltenteilung, sie will den
Zuschauern zeigen, dass dieses Kontrollsystem schlicht nicht mehr stattfindet, wenn V-Männer nicht vor Gericht aussagen und noch nicht mal ihre sogenannten Führer der Justiz Rede und Antwort stehen müssen. Christiane Mudras vorige Arbeit »Wir waren nie weg« über Kontinuitäten rechtsradikaler Verbrechen führte das Publikum bei einem Stadtspazierung zu Orten des Geschehens, begleitet von Spielszenen in Westernmanier. Die Verschleierung von Verbrechen mithilfe der Geheimdienste findet wesentlich abgeschotteter statt.
Die Zuschauer im HochX sollen in eine beängstigende Atmosphäre von Kontrolle und Überwachung eintauchen, erleben die Begegnungen der Protagonisten nur als Hörspiel, und das im Dunklen. Dagegen schneidet Christiane Mudra als Bilder kurze Stummfilmszenen und die Albtraumebene des Parlamentariers auf vier Leinwände. In einer Art Zweispurperformance müssen die Zuschauer ihre Konzentration auf Bild und Ton teilen. Eine Ebene bleibt immer im Verborgenen, so wie die Machenschaften der rechtsradikalen V-Männer und ihrer Führer. ||
OFF THE RECORD – DIE MAUER DES SCHWEIGENS
HochX| Entenbachstr. 37 | 5., 6., 10.–13. Nov.
20 Uhr | Tickets: 089 90155102
www.theater-hochx.de
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