»Der ewige Stenz. Helmut Dietl und sein München«: Die Ausstellung im Literaturhaus folgt auf die unvollendete Autobiografie des großen Filmemachers
Vorabdrucke in den Magazinen der »Süddeutschen Zeitung« und der »Zeit«, Interviews und Reportagen mit Tamara Dietl in »tz«, »Bunte«, der »Berliner Zeitung«, Rezensionen und Hintergrundberichte allerorten. A bissel was ging immer – an Helmut Dietls posthum veröffentlichter Autobiografie kam im September kaum jemand vorbei. Ob Hochfeuilleton oder Boulevard, auf den im März 2015 verstorbenen Filmemacher können sich alle einigen.
Jetzt auch das Literaturhaus. Wer nun denkt, er bekomme dort denselben Inhalt nur in eineandere Form gegossen, ist zum Glück im falschen Film. Im Buch erzählt Dietl von seiner Kindheit und Jugend in den 1950er und 1960er Jahren zwischen drei Frauen – der Mutter und den Großmüttern – und einem abwesenden Vater. 1944 in Bad Wiessee am Tegernsee geboren, beschreibt er das Aufwachsen in den Vororten und der Peripherie – Laim, Isarvorstadt, Gräfelfing, Schliersee – und einen Lebensweg, der
ihn mitten hinein ins schillernde Schwabing führt. Er erinnert sich an zarte Lieben, vergebliche Versuche, als Lyriker zu reüssieren, und an erste Kontakte mit dem Filmgeschäft.
»Helmut Dietl, der Mann, der die besten deutschen Fernsehserien geschrieben und inszeniert hat, ist nicht zum Fernsehen gekommen«, schrieb Claudius Seidl in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. »Das Fernsehen ist zu ihm gekommen. Damit endet das Buch, was sehr stimmig ist. Man hätte trotzdem gern noch alles andere gelesen.« Wem es ähnlich geht, kann sich nach der Lektüre Dietls München-Serien ansehen. Oder eben das Literaturhaus besuchen. Denn dort hat Seidl seinen Wunsch realisiert. In der von ihm kuratierten Ausstellung ist erstmals zu sehen, was Dietl im Buch beschreibt, zudem geht sie darüber hinaus und erzählt sein späteres Leben und Wirken in München in Wort, Ton, Bild und Gegenständen.
Vieles entstammt 180 nachgelassenen Kisten, die die Witwe Tamara Dietl gemeinsam mit Seidl nach Dingen durchforstete, die zeigen,wie sich Dietls Leben und Werk vermischten, durchdrangen, gegenseitig inspirierten. Angedeutet ist dies bereits in der Autobiografie (»Da mir alles Künstlerische privat und alles Private künstlerisch ist, ich also das eine vom andern sowieso nicht trennen kann.«), anschaulich wird es in der Ausstellung. So zeigen Fotos der Großmütter und anderer im Buch erwähnten Personen, wie Dietl sein Filmpersonal nach realen Vorbildern schuf. Neben Schreibmaschine, Skizzen, Originalmanuskripten sind auch seine akribisch geführten Taschenkalender zu sehen, mit denen er sich beim Schreiben in die Vergangenheit zurückversetzte.
All dies erinnert an eine klassische (durchaus filmreif aufgezogene) Literaturausstellung, und so möchte man es auch verstanden wissen: »Helmut Dietl war ein Autorenfilmemacher«, sagt die neue Literaturhausleiterin Tanja Graf. »Dabei sind nicht nur seine Dialoge brillant, vielmehr haben gerade die frühen Filme einen unglaublich poetischen Charme.« Zudem habe sich Dietl selbst Zeit seines
Lebens,zuletzt im Buch,ganz bewusst stilisiert. »Genauso wollen wir ihn zeigen: Helmut Dietl als Literat und als literarische Figur.«
Die Ausstellung wurde vom vorherigen Leiter Reinhard G. Wittmann initiiert und passt wunderbar zu Tanja Graf, die einen besonderen Bezug zum Thema hat: Sie und ihr Lebensgefährte Patrick Süskind wohnten mit Dietl im selben Haus in Schwabing, undSüskind hat bekanntermaßen Jahrzehnte mit ihm zusammengearbeitet. Tatsächlich gibt es erstmals Fotos vom öffentlichkeitsscheuen Autor Süskind und seinem Freund zu sehen – eine kleine Sensation. Dazu kommen weitere bislang unbekannte Privat-sowie Setfotos von Bekannten und Weggefährten.
Die Filme werden nicht als Werkschau, sondern als Hommage an München gezeigt. Von den vier großen Serien »Münchner Geschichten«, »Der ganz normale Wahnsinn«, »Monaco Franze – der ewige Stenz«, »Kir Royal« sowie »Rossini« läuft ein Best-of. Seidl stellte Trailer zu typischen Dietl-Themen wie »Frauen«, »Männer«, »Die Stadt«, »Die Zeit«, »Das bessere Leben« zusammen – und der letzte Film »Zettl« symbolisiert, wie der Filmemacher daran scheiterte, das Münchner Lebensgefühl ins heutige Berlin zu übertragen.
Apropos Berlin: Claudius Seidl studierte in München und arbeitete bei der SZ, bevor er in die Hauptstadt ging. Tamara Dietl wünschte sich den Filmspezialisten als Kurator, und Tanja Graf schätzt es, dass der gebürtige Bayer München ebenfalls als Sehnsuchtsort kennt. Denn so erging es Dietl in der Fremde – seine zwei großen Münchner Serien »Monaco Franze« und »Kir Royal« schrieb er in Los Angeles, Südfrankreich und Paris. »Das ist ein klassischer Topos in der Literatur«, sagt Tanja Graf: »Aus der Ferne sieht man die Heimat mit anderen Augen. So kann sie zum mythischen Sehnsuchtsort werden.«
Dass Insel-Verlagsleiter Fritz Arnold seine Gedichte einst ablehnte, stürzte den jungen Dietl in die Krise. Im Nachhinein bewertete er es als Glück, denn sonst »wäre ich später bestimmt nicht ein bekannter Filmemacher geworden, sondern ein unbekannter Lyriker«. Nun würdigt ihn das Literaturhaus als Literaten. Das hätte ihm gefallen.||
»DER EWIGE STENZ« HELMUT DIETL UND SEIN MÜNCHEN| AUSSTELLUNG
Literaturhaus München| Salvatorplatz 1 | 14. Oktober 2016 bis 26. Februar 2017| Mo bis Mi,
Fr 11-19 Uhr, Do 11-21.30 Uhr, Sa/So/Feiertag 10–18 Uhr | Eintritt 7 Euro / 4 Euro (Montag für
Studierende & Schüler 3 Euro) | Begleitprogramm zur Ausstellung: www.literaturhaus-muenchen.de
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