Am Ende des Jubiläumsjahrs zeigt das Franz Marc Museum in Kochel das Spätwerk des frühverstorbenen Malers: vom Tierbild zur symbolischabstrakten Zeichensprache.
Pferde und Rehe. Rehe und Pferde. Und Kühe. So haben wir Bilder von Franz Marc im Kopf. Wir kennen sie aus Schulbüchern und Schulfluren, bewundern sie in Museen. Denn Marc wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum bundesrepublikanischen Helden der von den Nationalsozialisten verfemten Moderne. Ein sympathischer, romantischer Heros. Schon 1916 charakterisierte Herwarth Walden, der »Sturm«-Herausgeber, Galerist und Vorkämpfer der Moderne, in einem Nachruf Marc und seine Bilder so: »Tief innen wohnte in ihnen, deren Beete die Hand eines sorgenden Gärtners verrieten, eine geistige, ja mystische Animalität, die ins Zügellose geht. Sie stand dem Menschen Marc in das geistvoll sinnliche Gesicht undin die Augen geschrieben, die klug und scharfsichtig, aber auch unendlich
liebend sein konnten, wie die eines Rehs.«
Geist, Mystik, Animalität: Wie sehen wir heute Marcs Kunst, und haben seine Werke – wenn aktuell Tiere und das Animalische in Literatur, Kunst und Performance wieder verstärkt Thema werden – uns auch Neues zu sagen?
Abschied vom Tier?
Der einzige Münchner unter den Künstlern des »Blauen Reiter« bekam bei Verdun einen Granatsplitter in den Kopf und starb am 4. März 1916. Zum Jubiläumsjahr präsentierte das Franz Marc Museum in Kochel, das den Künstler oft in interessanten Konstellationen beleuchtet hat, keine biographische Darstellung zum Krieg, sondern eine Ausstellungstrilogie, die zu den eigenen Beständen je eine prominentes Hauptwerk als Leihgabe ins Haus holte: im Frühjahr das monumentale, zerklüftet konstruierte Bild »Das arme Land Tirol« (1913) aus dem New Yorker Guggenheim Museum, im Sommer »Weidende Pferde IV« (1911), eine wahrhaft klassische Komposition dreier roter Pferde mit kühn symbolisch gesteigerten Farben aus dem Busch Reisinger Museum, im Herbst nun ist »Kämpfende Formen« (1914) aus der Münchner Pinakothek der Moderne zu Gast.
Es ist, in kurzer Zeit, ein exemplarischer Weg, den Marc von den atmosphärischen frühen Pferdeszenen, dem stur rhythmisierten »Eselsfries« (1911) über die formal wie kreatürlich abstrahierten Tierikonen zu diesen »völlig« abstrakten Formen zurückgelegt hat. Marc hat auch Probleme im Umgang mit der Schöpfung bekommen: 1915 erklärt er, »das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckte ich so viel Gefühlswidriges und Häßliches, so daß meine Darstellungen instinktiv, (aus einem inneren Zwang) immer schematischer und abstrakter wurden.« Wie hätte sich seine Kunst weiterentwickelt? Diese Frage stellt die Ausstellung im ersten Stock zumindest implizit, wenn sie mit Max Beckmann undOtto Dix Künstler mitpräsentiert, deren Œuvre durch die Erfahrung des Krieges und in der Nachkriegszeit eine entscheidende Wendung erfuhr. Mit Beispielen Alexej von Jawlenskys und Gabriele Münters aus der Murnauer Zeit ab 1908 leuchten die frühen formalen Kühnheiten der befreundeten Kollegen herüber.
Hinwendung zum Abstrakten?
Im Vergleich ersichtlich, aber nicht tiefer behandelt wird in der Präsentation Marcs Verhältnis zu Wassily Kandinskys Schritten zur und Formen der Abstraktion. Auch August Macke hat ja 1913 mit »Abstrakten Formen« und »Farbigen Kompositionen« experimentiert. Und Marcs Verhältnis zum Kubismus und Futurismus können die Exponate nicht deutlich machen, speziell die Beziehung zu Robert Delaunay, der ja im Almanach »Der Blaue Reiter« prominent vertreten war und mit dem Marc in durchaus kritischem Austausch stand. (Delaunay sah übrigens, wie auch Paul Klee, keinen geistigen Sinn im Kriegführen und entzog sich dem Wehrdienst.) Von diesem 1913 um ein Statement gebeten, hatte Marc kunsthistorische Positionierung, Reflexion und Rationalität als für sich selbst ungeeignete Grüblerei abgewehrt: »Ich male von nun an so, wie ich lebe: durch den Instinkt; ich bemerke wohl, daß ich mich unaufhörlich weiterentwickle, aber ich stelle es regelmäßig erst nach meiner Arbeit fest.«
Anfang 1913 glaubte Marc ihm gegenüber auch nicht an die »Idee einer reinen Malerei ohne Gegenstand«. Und doch ist das farbige, dynamische Strahlen von Marcs »Kleine Komposition IV« (1914) ein deutlicher Blick und ein schöner Gruß hinüber zum Pariser Freund.Interessant an Marcs spätem Werk von 1914 ist auch, dass die »Kämpfenden Formen« ursprünglich »Abstrakte Formen I« betitelt und dann in eine Reihe mit anderen Werken gestellt wurde (»Spielende Formen«, »Heitere Formen« und »Zerbrochene Formen«). Ähnlich wie bei den Blättern der Skizzenbücher aus dem Felde steht Marc also in einem Experimentierfeld. Abstraktes und figürliche Symbolik schlossen sich dabei nicht aus. Das späte Werk »Kämpfende Formen«, das diverse Deutungen herausgefordert hat, ist nicht zuletzt: ein unvollendetes Meisterwerk. ||
FRANZ MARC – KÄMPFENDE FORMEN
Franz Marc Museum| Franz Marc Park 8–10, 82431 Kochel am See | bis 15. Januar
Di–So 10–18 Uhr (ab Nov. bis 17 Uhr)
www.franz-marc-museum.de
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