Die Literaturhaus-Ausstellung »Ins Blaue! Natur in der Literatur« erlaubt sinnliche Erlebnisse und punktet mit Bonmots von Homer und Sappho über Mann und Musil bis hin zu Pink Floyd und Dora Heldt.
Das war knapp. Am Tag vor der Eröffnung meldete sich das Münchner Baureferat – und das bis dato betriebene Guerilla Gardening auf dem Salvatorplatz verwandelte sich über Nacht in einen noch immer geheimen, nun aber genehmigten Garten. Anfangs sah dieser aus wie von Christo verpackt, jetzt blühen auf 25 Quadratmetern Kirsche, Hornveilchen, Stiefmütterchen, Mohn, Hohe Schlüsselblumen und Rosmarin. Zwei Liegestühle stehen bereit; begehen lässt sich die Stadtoase jedoch nur über die Ausstellung im Literaturhaus »Ins Blaue! Natur in der Literatur«. Ein sinnlicher, poetischer Spaziergang durch 2500
Jahre Weltliteratur, der herkömmliche Erwartungen aushebelt. Es sei ein Labor, Experiment und Proberaum, sagte die Kuratorin Heike Gfrereis am Eröffnungsabend und beschrieb, wie man angesichts der wachsenden Fülle an Gestaltungsideen, Texten und Exponaten den geplanten heimeligen Titel »Ins Grüne« verwarf und sich stattdessen fürs unendliche Blau entschied. Das fotorealistische Plakatmotiv »Maiwiese« von Brigitte Stenzels vereint beide Farben, und die Ausstellung selbst spannt einen weiten Bogen von Naturphänomenen über deren Verwandlung in Literatur bis hin zu Preziosen aus zeitgenössischem Privatbesitz.
»Der Himmel, das Gras«, heißt die erste von elf Stationen, die einzelne Naturthemen wie unter einem Brennglas beleuchten. Meist kann man dabei selbst aktiv – oder eher ruhig– werden: im Himmelbett träumen, in der Dunkelkammer Geräuschen lauschen, im weißen Kubus der blauen Stunde nachspüren, an der Duftstation Gewürze erschnuppern oder eben zwischen Pflanzen im Liegestuhl Kraft tanken. Doch dies ist nur eine von mehreren Schneisen, die sich durch diese inszenierte Natur schlagen lassen. Wie die sprichwörtlichen Pilze schießen Tafeln mit Zitaten aus dem Boden, die neue Denkräume und Perspektiven eröffnen – oder auch das Gezeigte zu kommentieren scheinen. So konterkarieren an der Station »das Wetter, das Licht« zwei literarische Schwergewichte die über mehrere Monitore flimmernden hektischen internationalen Wettervorhersagen: Thomas Mann mit dem berühmten knappen ersten Satz »München leuchtete.« und Robert Musil, der in »Der Mann ohne Eigenschaften« aus einem barometrischen Minimum über dem Atlantik ganz akribisch einen schönen Augusttag in Wien destilliert.
Höchst erfrischend ist die dünkelfreie Auswahl. Die Unterhaltungsautorin Dora Heldt steht mit ihrem Bonmot »Schnee ist auch nur hübschgemachtes Wasser« gleichrangig neben Heine, Goethe und Stifter; Jakob Augstein reiht sich salopp mit »Der Mensch im Garten, um es klar zu sagen, nervt« bei Homer, Hofmannsthal und Mayröcker ein; und mit einer Strophe aus Pink Floyds »The Dark Side of the Moon« ist sogar die Rockmusik präsent. Als ebenso ergiebiger Pfad erweist sich die lose Fotoreihe innerhalb der Ausstellung – von Hermann Hesse beim Nacktklettern und Liesl Karlstadt beim züchtigen Bergsteigen über Franz Kafka bei einer Tuberkulosekur im März 1921 in der Hohen Tatra und den über den Kampener Strand eilenden Thomas Mann bis hin zur letzten Aufnahme von Robert Walser im Schneefeld, in dem er bei einer einsamen Wanderung Weihnachten 1956 an Herzversagen starb.
Zwischen alldem gibt es »Naturstücke« zu entdecken, präsentiert wie aufgespießte Schmetterlinge in Glasvitrinen. Eva Menasses »räudiges Tier« etwa: Das winzige rotäugige Stofftier »kugelt meistens in meiner jeweiligen Handtasche herum – das trägt bei, seine Räudigkeit zu erhalten«, erklärt die Verfasserin des Erzählbandes »Tiere für Fortgeschrittene«. Der Talisman ist eines von 35 Objekten, die ihre schreibenden Besitzerinnen und Besitzer mit Natur verbinden und auf Anfrage des Literaturhauses der Ausstellung beisteuerten. Teresa Präauer pimpte einen künstlichen Vogel aus dem Bastelbedarf mit Perlen und Pailletten zu einem prachtvollen »Birdie« auf, Judith Schalansky bestaunt die Koralle, und in Durs Grünbeins »Voodoo-Box« stecken zwei Nashornkäfer in Kampfstellung, eine Stachelschweinborste und ein Miniporträt von Josef Stalin. »Manchmal öffne ich die Box, nur um nachzusehen, ob alles noch an seinem Platz ist«, schreibt der Lyriker. »Das ist der Moment für eine kurze Meditation über die unheilvolle Naturgeschichte des Menschen. Die Natur ist aus Fakten gemacht, die Gesellschaft aus gedanklichen Assoziationen. Es empfiehlt sich, die Box recht bald wieder zu schließen.« Zum Glück ist es noch nicht so weit: Ob für kurze oder lange Meditationen – bis Anfang Oktober ist diese literarische »Kunst- und Wunderkammer« geöffnet. ||
INS BLAUE! NATUR IN DER LITERATUR AUSSTELLUNG
Literaturhaus| Salvatorplatz 1 | bis 7. Oktober
Mo bis Fr 10–19 Uhr, Sa/So 10–18 Uhr
Katalog: 15 Euro
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