Was passiert mit Menschen in einer Autokratie, fragt Emre Akal in »Mutterland …stille«.

Emre Akal bricht global existierende Mechanismen auf den Mikrokosmos Familie herunter| © Adem Yilmaz Cinar

In Deutschland sagt man Vaterland und Muttersprache. Im Türkischen heißt es anavatan und anadili, in beiden Wörtern steckt anne drin, Mutter. Deshalb heißt die aktuelle Produktion von Emre Akal »Mutterland …stille«. Denn es ist still geworden in der Türkei. Bevor sie im Café etwas sagen, schauen sich die Menschen zwei, drei Mal um, ob auch niemand sie belauscht. Die Angst vor Denunziation macht sie stumm. Was passiert mit Menschen in einem System, in dem die Politik ihnen immer mehr Freiheiten nimmt? Sie ziehen sich zurück, aufs Private, in die eigenen vier Wände, und blenden die Einschläge aus. Solange sie können. Doch die Einschläge kommen immer näher, und peu à peu schleicht die Bedrohung sich auch ins Private ein.

Aufhänger für »Mutterland …stille« waren die Erfahrungen, die Emre Akal in Istanbul gemacht hat. Die Strukturen und Mechanismen, die hinter dem Weg des Landes in ein totalitäres System stecken, möchte der Regisseur aus dem Münchner Umland aber als globales Problem verstanden wissen. Sie existieren überall dort, wo Obrigkeitshörigkeit tief verankert ist. Wo Menschen sich überlegen müssen, ob es den Job, die Freiheit oder das Leben kostet, Stellung zu beziehen. Weil diese Mechanismen schon in der Keimzelle der Gesellschaft angelegt sind, dramatisiert Emre Akal den Konflikt verdichtet im Mikrokosmos Familie.

»Mich interessiert der Mensch, der in einer schrecklichen Situation ist, sich dessen aber nicht bewusst ist.« So beschreibt Emre Akal die Mitglieder seiner Bühnenfamilie. Die hat sich in eine Art Bunker oder Festung zurückgezogen, deren Mauern allerdings bereits bröckeln, weil die ideologischen Gräben auch innerhalb der Familie stark sind. Obwohl auf Recherchen beruhend, ist es kein dokumentarisches Stück wie Akals hochgelobtes »Ostwind«, in dem es um südosteuropäische Zuwandererbiografien ging. Mit den Schauspielern Erkin Akal, Melek Erenay, Katharina Friedl, Çağlar Yiğitoğulları, Julia Carina Wachsmann und Burak Uzuncimen inszeniert er eine Art Bilderbogen, aber »ohne türkischen Teppich«. Bis auf Wachsmann haben alle einen Bezug zur Türkei. Sie stammen aus türkischstämmigen Familien, sind als Deutsche in Istanbul aufgewachsen wie Katharina Friedl oder erst kürzlich aus politischen Gründen aus der Türkei geflüchtet wie der Schauspieler Çağlar Yiğitoğulları. So wie vor Jahrzehnten Erkin Akal, der Vater des Regisseurs, der mit starkem Akzent Deutsch spricht und seinen Schauspielerberuf in Deutschland deswegen nie ausüben konnte. Emre Akal bezeichnet sein Ensemble als divers. Es ist ihm seit Jahren ein Anliegen, dass die Herkunft auf der Bühne keine Rolle spielt, und er setzt das in seinen Arbeiten um.

Wie seine Inszenierung genau aussieht, will Emre Akal nicht so recht verraten. Zwar erzählt »Mutterland …stille« eine durchgehende Geschichte und der Zuschauer kann sich an die konkreten Figuren des Bilderbogens halten. Es findet aber auch eine Abstrahierung statt. Die hat wahrscheinlich etwas mit der Sprache zu tun, die ein wichtiger Teil der Inszenierung ist. Viel mehr will Emre Akal dazu nicht sagen, will auch nicht damit herausrücken, ob türkisch oder deutsch gesprochen wird, meint aber, man müsse sich keine Sorgen machen, dass man nichts versteht. Und grinst breit. Ein bisschen überraschen möchte er das Publikum schon.||

MUTTERLAND …STILLE
HochX| Entenbachstr. 37 | 23.–26. Nov.| 20 Uhr
Tickets: 089 90155102

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