Der im Juli gestorbene Peter Härtling hinterlässt zwei letzte Bücher.

»Fremd bin ich eingezogen / Fremd zieh ich wieder aus.« Zwei Verszeilen aus Wilhelm Müllers Gedichtzyklus »Die Winterreise«, den Franz Schubert musikalisch umsetzte. Peter Härtling verwendete das romantische Thema leitmotivisch in seinem Buch »Der Wanderer«, verknüpfte es mit seiner Autobiografie. Seiner großen, viel beachteten Romanbiografie »Schubert« (1992) über den Komponisten gingen Bücher wie »Hölderlin« (1976) voraus und folgten andere wie etwa »Schumanns Schatten« (1996). Peter Härtling, 1933 in Chemnitz geboren, selbst ein Wanderer zwischen den Welten, ein im Zweiten Weltkrieg mit der Mutter Geflohener, ein in sich und in der Welt explizit Unbehauster – er hat mit dem Genre der semifiktionalen Biografie großer Künstler, meist Dichter und Musiker der Romantik, sein literarisches Zuhause gefunden.

Seine vielen Novellen und Romane sind fiktiv, und doch sind sie auch biografisch, beruhen auf recherchierten, historischen Tatsachen. Er war ein Meister darin, ein empathischer Könner. In seiner letzten Arbeit, »Verdi. Ein Roman in neun Fantasien«, spürt er dem alternden Komponisten des »Otello« und des »Falstaff« nach im Härtlingschen Sprachduktus und erzählt von seiner Liebe zu Peppina, seiner zweiten Frau. Oft sind Härtling-Romane auch flammende, berührende, sanfte Liebesromane. »Verdi« ist als Taschenbuch im Juni 2017 neu erschienen, wenige Wochen, bevor Peter Härtling am 10. Juli in seiner südhessischen Heimat zwischen Wiesbaden und Frankfurt mit 83 Jahren starb.

Peter Härtling war – eine Seltenheit bei Schriftstellern seines Ranges – auch Autor zahlreicher Kinderbücher. Sie lagen ihm am Herzen. Er war sich nicht zu fein, auch für die Jüngeren zu schreiben. Ganz im Gegenteil. Sozialkritische Kinderbücher wie etwa »Ben liebt Anna« (1979), »Oma« (1975) oder »Das war der Hirbel« (1973) sind längst zu Klassikern avanciert und stehen zeitlich vor seinen großen (Erwachsenen-)Romanen. Und auch hier gibt es eine letzte Arbeit, eine, die jüngst erst erschienen ist, in der er sich in klarer, einfacher, unprätentiöser Sprache mit einem seiner Lebensthemen auseinandersetzt: »Djadi, Flüchtlingsjunge« (2017). Wie der kleine syrische Junge Djadi, schätzungsweise elf Jahre alt, in einer Frankfurter Wohngemeinschaft unterkommt, in die Schule geht, eine andere Sprache lernt, sich neu zurechtfindet – davon erzählt der sensible Menschenfreund Peter Härtling, den der Leser mit etwas Fantasie in der Figur des alten Wladi wiedererkennen mag.

»Djadi, Flüchtlingsjunge« und »Verdi« schließen nun ein facettenreiches Œeuvre ab, das vor mehr als sechs Jahrzehnten, in den frühen 1950er Jahren, begonnen wurde. Peter Härtling – dieser emotionale Erzähler von Künstlerleben, dieser unnachgiebige Bewältiger deutscher Vergangenheit, mit unzähligen Preisen ausgezeichnet –, er war ohne Zweifel einer der großen deutschsprachigen Gegenwartsschriftsteller. Er wird fehlen. Seine teils von großer Zärtlichkeit und Melancholie
durchdrungenen Bücher aber werden bleiben. Und seine Leser werden vielleicht etwas weniger frösteln in dieser unruhigen Welt. So steht es schon in Härtlings »Der Wanderer«, vor bald 30 Jahren, 1988 erschienen, auf geradezu antizipierende Weise: »Wir gleichen dem namenlosen Wanderer. Wir wandern nicht mehr, um anzukommen, wir sind unterwegs in einer frostigen, auskühlenden Welt.« ||

PETER HÄRTLING: VERDI. EIN ROMAN IN NEUN FANTASIEN.
dtv, 2017 | 216 Seiten | 10,90 Euro

DJADI, FLÜCHTLINGSJUNGE.
Beltz & Gelberg, 2017 | 116 Seiten | 12,95 Euro
ab 10 Jahren

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