»Körper und Seele« erzählt von der großen Liebe auf denkbar unwahrscheinlichstem Terrain – dem Schlachthaus.

Maria und Endre träumen sich in den Wald – als Hirschkuh und Hirsch | © AlamodeFilm

Wie kann man sich hier verlieben? Ausgerechnet im Schlachthof. Nicht nur das Setting in Ildikó Enyedis »Körper und Seele« ist ungewöhnlich für eine romantische Geschichte. Aber genau deshalb ist der diesjährige Berlinale-Gewinner ganz großes Kino.Im Zentrum des ungarischen Liebesdramas stehen Endre (Géza Morcsányi) und Maria (Alexandra Borbély). Endre ist der Leiter besagten Schlachthofs, einer seiner Arme ist gelähmt, sein Dasein fristet er in der Regel allein. Da taucht Maria als neue Qualitätskontrolleurin auf – und zieht sofort die Aufmerksamkeit des ganzen Betriebs auf sich. Die Neue ist seltsam steif, krankhaft introvertiert und durchgehend still. Außerdem stuft sie kurzerhand die geschlachteten Rinder als zweitklassig ein, weil die Fettschicht ein paar Millimeter zu dick ist.

Morcsányi und Borbély spielen ihre Rollen fabelhaft. Leicht könnte man hier in unglaubwürdige Klischees schlittern. Aber hier fesselt die Darstellung den Zuschauer schon nach zehn Minuten und lässt ihn nicht mehr los. Das liegt vor allem an den subtilen Momenten, zum Beispiel wenn Maria ganz nebenbei einem Sonnenstrahl ausweicht und sich in den schützenden Schatten zurückzieht.

Dann die Wendung: Nach einem Diebstahl im Schlachthof werden alle Angestellten von einer Psychologin ausgefragt, darunter die obligatorische Frage nach dem letzten Traum. Hier stellt sich etwas eigentlich Unmögliches heraus: Endre und Maria haben seit einiger Zeit denselben Traum, in dem sie als Hirsch und Hirschkuh durch den Wald ziehen. Langsam beginnen sich beide aus ihrer Schale freizukämpfen und sich wirklich näherzukommen. Auch hier behält die Subtilität die Oberhand. Der Zuschauer begleitet die Charaktere Schritt für Schritt bei ihrer Transformation, die vor allem von Alexandra Borbély großartig dargestellt wird. Zu sehen, wie ihre zerbrechliche Figur Stück für Stück auftaut, bringt jedes Herz im Publikum zum Erweichen. Wie es Regisseur Enyedi beschreibt: »Sie durchläuft diesen gefährlichen Prozess in scheinbar einfachen Handlungen: wenn sie Kartoffelpüree anfasst, Pornos anschaut etc. Es lag an Alexandras Leistung, dass sich diese einfachen Szenen gleichzeitig mit Spannung, Sinnlichkeit, Erotik und Humor aufluden.«

Und auch wenn man es vielleicht erst nicht glauben will, Humor hat »Körper und Seele«. Und der passt auch wirklich ins Geschehen, ist also nicht zur Auflockerung reingequetscht. Zum Beispiel das erste
vergeigte Gespräch zwischen Endre und Maria. (E: »Wissen Sie, warum ich in der Kantine nur Gemüse esse?« – M: »Weil Ihr Arm gelähmt ist und sie so nur eine Hand brauchen?« Eisiges Schweigen.)

»Körper und Seele« ist ein rundum gelungener Film, der sich mit der wahren Liebe und Seelenpartnerschaft auseinandersetzt, ohne kitschig, esoterisch oder sentimental zu sein. Hier trifft tiefe Trauer auf leichtfüßigen Witz, Romantik auf Realismus. Höchstens der Zuschauer, der mit Schlachthof-Aufnahmen Probleme hat, könnte wegschauen wollen. ||

KÖRPER UND SEELE
Ungarn 2016 | Regie: Ildikó Enyedi | Mit: Alexandra Borbély,
Géza Morcsányi, Zoltán Schneider u.a. | 116 Minuten
Kinostart: 21. September

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