Von der Empfindsamkeit in digitalen Zeiten: Zsuzsa Bánk stellt ihren E-Mail-Roman »Schlafen werden wir später« im Literaturhaus vor.

Besser, größer, klüger, schneller, höher, weiter: Wir leben in der Epoche der Selbstoptimierung. Statt zu jammern gilt es, nach außen möglichst makellos zu erscheinen. Wer trotzdem mit Selbstzweifeln, (Versagens-)Ängsten oder anderen Dämonen kämpft, geht eher zum Coach als zum Therapeuten, macht Yoga oder führt Tagebuch. Die Freundinnen Márta Horváth und Johanna Messner nutzen eine andere Bewältigungsstrategie: So wie man es vormals in Briefen tat, schreiben sie sich lange E-Mails, in denen sie ihr Innerstes bloßlegen. Ob überfordert, gestresst oder enttäuscht vom eigenen Schaffen, von dem (Ex-)Partner, den Freunden, den Kindern oder dem Leben an sich, ob gelangweilt von den Jahreszeiten, dem Haushalt oder einfach nach Reisen, Träumen und Liebe dürstend: In diesem geschützten Raum ist nichts tabu und alles relevant.

Drei Jahre – von März 2009 bis Juni 2012 – praktizieren Zsuzsa Bánks Protagonistinnen ihre Schreibkur. Dabei zieht sich der Buchtitel »Schlafen werden wir später« wie ein Mantra durch die Korrespondenz, denn Johanna und Márta haben mit Anfang vierzig die eigene Endlichkeit klar vor Augen, sind einerseits erschöpft, möchten das Leben aber auch nicht verpassen. So schreiben sie meist spätabends oder früh am Morgen, bevor der Tag mit neuen Herausforderungen dräut. Und diese könnten unterschiedlicher kaum sein: Die im Schwarzwald lebende Lehrerin Johanna hat eine Brustkrebsoperation und eine schmerzvolle Trennung hinter sich. Sie promoviert über Annette von Droste-Hülshoff, reist auf deren Spuren nach Meersburg, Marbach, Freiburg, Münster und hockt viel allein im stillen Kämmerlein.

Das andere Zimmer im Satzhaus

Die Schriftstellerin Márta würde sich gerne »in meinen Wortzimmern, in meinen Satzhäusern« einigeln, doch ihr Frankfurter Alltag lässt es nicht zu. Als Mutter dreier Kinder – der Jüngste gerade erst geboren – und mit einem unzuverlässigen freischaffenden Künstler an der Seite, zerrinnt ihr die Zeit zwischen den Fingern, »das Klappmesser Leben und Schreiben fällt klingenscharf auseinander, der Abstand zwischen beiden wird ozeanisch«. »Das andere Zimmer« lautet der sprechende Titel ihres aktuellen Erzählbands, der einfach nicht fertig werden will.

Die gegensätzlichen Lebenswege böten Konfliktpotenzial, doch Zsuzsa Bánk setzt auf die heilende Kraft von Freundschaft. Beide Frauen reagieren warm und verständnisvoll auf die Verzagtheit der anderen, schenken Trost, Liebe und Zuversicht und wappnen sich so gegen die Unbill des Lebens. Nur einmal steht die Innigkeit auf dem Spiel. Beim sogenannten Mutterstreit schachern sie um das schlechtere Los, bis Johanna resümiert: »Fassen wir zusammen. Kinder zu haben ist schlimm. Keine zu haben ist schlimmer.«

Dass man solchen Alltagssorgen über 680 Seiten hinweg gerne folgt, spricht für die hohe Erzählkunst Zsuzsa Bánks. Zudem hat die Autorin eine weitere Ebene eingezogen: Ihr moderner Briefroman ist auch eine Reise durch drei Jahrhunderte Literaturgeschichte. Die Freundinnen spielen sich Zitate zu, greifen diese auf, bauen sie in ihre eigenen Texte ein. So holt sich die von ihrer Schreibblockade gebeutelte Márta seelische Unterstützung bei berühmten Kollegen wie Rolf Dieter Brinkmann, Roland Barthes und Ilse Aichinger. Johanna bezieht sich bevorzugt auf »die Droste« oder reichert ihre Nachrichten aus dem »schwarzen Wald« mit Märchenzitaten der Gebrüder Grimm und Wilhelm Hauffs »Das kalte Herz« an. Ebenfalls zu Wort kommen Goethe, Schiller, Hölderlin, Klopstock, Ingeborg Bachmann und Zeitgenossen wie Nadja Küchenmeister oder Birgit Müller-Wieland. Spielerisch spiegelt Zsuzsa Bánk so die Zumutungen des
Lebens der Frau im 21. Jahrhundert auch an dem ihrer Vorfahren, feiert die Freundschaft – und die Poesie. ||

ZSUZSA BÁNK: SCHLAFEN WERDEN WIR SPÄTER
S. Fischer, 2017 | 688 Seiten | 24 Euro

LESUNG MIT ZSUZSA BÁNK (leider ausverkauft)
29. Mai| 20 Uhr | Literaturhaus München | Salvatorplatz 1

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