Ahmad Shakib Pouya reiste »freiwillig« nach Afghanistan aus. Jetzt ist er zurück und spielt den Ali in George Podts FassbinderInszenierung. Ein Kommentar zur bayerischen Abschiebepolitik.

Ahmad Shakib Pouya © Bianca Huber

Eigentlich hätten die Proben eine Woche früher beginnen sollen, aber da saß der Hauptdarsteller noch in Kabul fest. Dass Ahmad Shakib Pouya nun in »Angst essen Seele auf« auf der Bühne stehen kann, dafür war ein kleines Wunder nötig. Möglich gemacht hat es die Schauburg.

Der Fall Pouya hatte bundesweit Empörung ausgelöst. Nachdem die Taliban eine Granate durch sein Fenster geworfen hatten, wodurch sein Vater an einem Herzinfarkt starb, war der afghanische Zahnarzt und Musiker 2011 nach Deutschland geflohen. Pouya galt als Vorzeigeflüchtling. Er wirkte bei Theaterinszenierungen mit, trat in dem Opernprojekt »Zaide« in der Alten Kongresshalle auf und arbeitete ehrenamtlich für die Flüchtlingsberatung der IG Metall. Dennoch sollte er abgeschoben werden. Um der damit verbundenen Wiedereinreisesperre zuvorzukommen, beschloss er »freiwillig« auszureisen. 55 Tage hielt sich Pouya in verschiedenen Städten in Afghanistan versteckt.

»Als ich wusste, dass ich ausreisen darf, habe ich meine Schmerzen vergessen.«

»Jeder Tag ist lang«, meint er, »wenn du in Todesangst lebst.« Wie das ist, könne er nicht in Worte fassen, und dann versucht er es doch, erzählt von seiner Angst vor den Taliban, auf deren Todesliste er aufgrund seiner islamismuskritischen Lieder steht, vor Beamten, von denen viele für die Taliban arbeiten, aber auch »vor ganz normalen Leuten«, für die der liberale Muslim vom rechten Glauben abgefallen ist. »Du weißt nie, wer ein Informant ist. Du kannst keinem trauen außer deiner Familie.« Die war aus Pakistan gekommen, um ihn zu sehen, und ist nun in Afghanistan untergetaucht und wartet auf eine erneute Chance zur Flucht. Die IG Metall schickte Pouya, der neben Deutsch und Englisch Paschtu, Urdu und Hindi spricht, einen Vertrag als Dolmetscher, doch der wurde nicht anerkannt. Dolmetscher hieß es, gebe es in Deutschland genug. Nur ein Engagement als Künstler konnte ihm zu einem Visum verhelfen. Das Warten war auch für Schauburg-Dramaturgin Dagmar Schmidt quälend. »Nachdem ich ihm denn Arbeitsvertrag per Mail geschickt hatte, kam keine Reaktion. Wir dachten, er könne in den nächsten Shop gehen und den Vertrag ausdrucken. Wir hatten keine Ahnung, dass das viel zu gefährlich ist.«

Als schließlich die Nachricht eintraf, dass er ein Visum erhält, lag er im Krankenhaus. Wie der Gastarbeiter Ali in Fassbinders Film litt er unter Magenschmerzen. »Aber«, erklärt er, »als ich wusste, dass ich ausreisen darf, habe ich meine Schmerzen vergessen.« Pouya heißt Geduld, und geduldig beantwortete er am Tag nach seiner Rückkehr nach München in einer Pressekonferenz und Interviewserie die Fragen der Journalisten. Er wurde nicht müde, sich zu bedanken für die Welle an Hilfe und Solidarität. »Die Schauburg«, versicherte er immer wieder, »hat mir das Leben gerettet.«

George Podt © Peter Grenz

Natürlich, meint deren Intendant George Podt, »sind wir überglücklich, dass Pouya hier ist. Doch uns ist es wichtig, etwas klarzustellen: Wir sind ein kommunales Theater und als solches ging es uns nicht nur um eine Rettungsaktion für einen Menschen, sondern vor allem um ein künstlerisches und gesellschaftspolitisches Projekt.« Als »Flüchtling der Herzen« bezeichnete eine Zeitung Pouya und bei solchen Sätzen schleicht sich Unbehagen ein. »Es gibt viele Pouyas«, betont Podt, »und die meisten haben keine Unterstützer.« Schon seit Längerem, ergänzt Dagmar Schmidt, die Hauptinitiatorin des Projektes, »suchten wir nach einer künstlerischen Form, um unserer Entrüstung über die absurde bayerische Abschiebepolitik Ausdruck zu geben. Das hat sich dann anhand des Falles Pouya konkretisiert. Wer könnte Alis innere Not besser verkörpern als er?«

In Fassbinders Film verliebt sich die verwitwete Putzfrau Emmi zum Entsetzen ihrer Umgebung in einen über zwanzig Jahre jüngeren Marokkaner. Statt einen Gastarbeiter spielt Pouya, der den Abend zudem als Musiker auf dem Harmonium begleitet, einen afghanischen Flüchtling. Podt möchte die Geschichte näher zu uns heranrücken und auf keinen Fall ein zeigefingerndes Lehrstück zeigen. Ob in Alis Liebe auch Kalkül steckt, ob die Kinder sich am Ende bloß aus Egoismus mit ihrer Mutter aussöhnen, all das soll in der Schwebe bleiben. »Wir stellen in parabelhaft verdichteten Szenen das Kernthema heraus: Angst essen Seele auf. Die Angst vor dem Fremden. Die Angst, die Ali zerfrisst.« Angst beherrsche derzeit auch die Politik. Angst vor den Wählern, der AfD, vor den – so Schmidt – »Schreihälsen und Zündlern, die viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber sie sind nicht das Volk.« Das Gerede vom »Ende der Willkommenskultur, der gekippten Stimmung«, sei ein Medienmärchen. Auch dies wollte die Schauburg mit ihrem Engagement für Pouya verdeutlichen.

»Angst ist ein Gift, das Menschen kaputtmacht.«

Die Ablehnung und Ausgrenzung, mit der Ali konfrontiert wird, erklärt der 33-Jährige, habe er selbst nie erfahren. Rassismus hat er nur im Internet erlebt. Der Hass, der ihm dort entgegenschlug, hat ihn tief verstört. »Aber ich sage mir: Diese Leute müssen sich furchtbar ärgern, dass ich es geschafft habe, als Schauspieler legal zurückzukommen. Und der Gedanke freut mich.« Mit der Fassbinder-Adaption präsentiert Podt seine letzte Regiearbeit vor dem Intendantenwechsel. »Ich habe das Theater« erklärt er, »immer auch als säkulare Kirche verstanden, einen Ort, um grundlegende menschliche und politische Fragen zu verhandeln und als Künstler dafür einzustehen, woran man glaubt.« Mit dieser Produktion wollte er noch einmal sein Theaterverständnis unterstreichen, und eindringlicher kann man das kaum tun.

Für die Schauburg läutet die Inszenierung das Ende einer Ära ein. Für Pouya bedeutet sie einen Neuanfang. Die Unsicherheit allerdings bleibt. Sein Visum läuft Ende Juli aus, danach sind Auftritte im Gärtnerplatztheater geplant, und er hofft auf weitere Projekte. Erst einmal will er sich ganz auf seine Rolle konzentrieren. »Arbeiten zu dürfen, sich nicht mehr verstecken, keine Angst mehr haben zu müssen – dieses Glücksgefühl lässt sich kaum beschreiben.« Es scheint ihm, als sei er aus einem langen Albtraum erwacht. »Angst«, so Pouya, »ist ein Gift, das Menschen kaputtmacht.« ||

ANGST ESSEN SEELE AUF
Schauburg | Theater der Jugend am Elisabethplatz | 22., 24.– 26. April| 19.30 Uhr | Tickets 089 23337155

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