Am 9. März erhält Abbas Khider den mit 15 000 Euro dotierten Adelbert-von-Chamisso- Preis 2017 der Robert Bosch Stiftung für sein Gesamtwerk. 1985 wurde der Preis ins Leben gerufen, nun wird er zum letzten Mal vergeben.

Die Frage, warum er mittlerweile ausschließlich auf Deutsch schreibe, beantwortete Abbas Khider einmal mit dem »sprachlichen Abenteuer«, das er dabei erlebe. Er habe dann das Gefühl, »Lehrer und Schüler« zugleich zu sein. Lehrer, weil er »Neues erfinde«, und Schüler, weil er beim Schreiben stets »Neues hinzulerne«. Khider, 1973 in Bagdad geboren, floh 1996 aus seiner Heimat Irak, nachdem er dort aus politischen Gründen verfolgt wurde. Zwei Jahre lang saß er im Gefängnis, ertrug Hunger und Folter. Nach einer vierjährigen Odyssee als illegaler Flüchtling durch Jordanien, Libyen und die Türkei beantragte er in Deutschland Asyl. Khider, der mittlerweile in Berlin lebt, studierte in München und Potsdam Literaturwissenschaften sowie Philosophie, beschäftigte sich mit Kant, Hegel, Heidegger. Nun erhält er in München den mit 15 000 Euro dotierten Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung 2017 für sein bisheriges Gesamtwerk.

Der Chamisso-Preis wurde 1985 ins Leben gerufen, um jährlich »herausragende auf Deutsch schreibende Autoren« zu ehren, »deren Werk von einem Kulturwechsel geprägt« ist. Zudem wird mit der Auszeichnung ein »die deutsche Literatur bereichernder Umgang mit Sprache« honoriert. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Terézia Mora, Saša Stanišić und Feridun Zaimoğlu, um nur ein paar illustre Namen aus den letzten zehn Jahren zu nennen.

»Von Mensch zu Mensch«

Neben dem Hauptpreis werden zudem immer auch Förderpreise verliehen. Abbas Khider selbst gewann 2010 einen davon für seinen Debütroman »Der falsche Inder«, in diesem Jahr gehen die Förderungen an die
Serbin Barbi Markovićfür das Buch »Superheldinnen« sowie den 1984 auf Sri Lanka geborenen Senthuran Varatharajah für seinen Erstling »Vor der Zunahme der Zeichen«. Hass, Krieg, Gefängnis, Flucht, Vertreibung und was die daraus resultierende Heimatlosigkeit mit dem Menschen physisch und vor allem psychisch macht: Das sind die Themen, an denen sich Abbas Khider, zum Teil unter Einbezug seiner eigenen Biografie, in insgesamt bislang vier Romanen abarbeitet. Die Jury schreibt in ihrem Urteil: »Mit genuin literarischen Mitteln gestaltet Abbas Khider damit eines der wichtigsten und bedrückendsten Probleme unserer Gegenwart.«

Abbas Khider | © Robert Bosch Stiftung / Yves Noir

Viele Medien haben Khiders im vergangenen Jahr erschienenes Werk »Ohrfeige« vor dem Hintergrund der sogenannten Flüchtlingskrise als Buch der Stunde gelesen. Das kann man natürlich, auch wenn es darin um einen irakischen Flüchtling geht, der nach dem Sturz von Saddam Hussein aus Deutschland zurück in den vermeintlich wieder sicheren Irak abgeschoben werden soll und deshalb seine Flucht nach Finnland plant. Davor aber noch mal schnell seine Sachbearbeiterin Frau Schulz im Büro fesselt und ihr dann nicht nur
die titelgebende Ohrfeige verabreicht, sondern ihr auch aus seinem Leben als Heimatloser zwischen Asylantenheim, Obdachlosenunterkunft und dem muslimischen Kulturverein Enlil erzählt. »Von Mensch zu Mensch« gewissermaßen. Nun muss sie zuhören, und er kann reden.

Fragt man hingegen Abbas Khider selbst, dann wird er nicht müde zu betonen, dass »Ohrfeige« nicht das Buch der Stunde sei. In einem Interview gegenüber dem Bayerischen Rundfunk etwa legte er Wert darauf, dass er kein »aktuelles Buch« geschrieben habe. Sondern dass Flucht und Vertreibung bedauerlicherweise alte und zutiefst menschliche Themen seien, denen die Literatur immer nur eine neue Form gebe. Die Zeilen von Rose Ausländer, die er dem vorletzten Roman »Brief in die Auberginenrepublik« (2013) vorangestellt hat, bringen eben diese Zeitlosigkeit auf den Punkt und könnten im Grunde vor jedem seiner Bücher, auch vor »Ohrfeige«, stehen: »Tage kommen und gehen / alles bleibt wie es ist / Nichts
bleibt wie es ist / es zerbricht wie Porzellan (…)« In »Brief in die Auberginenrepublik« wird dem Protagonisten Salim Al-Kateb das Lesen der falschen Bücher von einem Tag auf den anderen zum Verhängnis.

Karin Schmitt von der Caritas

Khiders aufgrund der lakonisch-präzisen Sprache schmale Bücher spielen allesamt mit der literarischen Form. Mal sind sie gerahmt wie der zweite Roman »Die Orangen des Präsidenten« von 2011, mal vielstimmig angelegt wie der »Brief in die Auberginenrepublik«. Und »Ohrfeige« erzählt aus der Ich-Perspektive seines Helden Karim Mensy. Was Khiders bisheriges Œuvre noch prägt: Seine tiefe Menschlichkeit und die Tatsache, dass der Autor bei aller Tragik um die Macht und die Kraft des (befreienden) Lachens weiß.

Die Romane zeichnet ein subtiler Humor aus, gerade wenn Alltägliches geschildert wird. Das klingt dann in »Ohrfeige« so: »Mein Winteroutfit hatte ich mir aus gespendeten Kleidungsstücken zusammengestellt: ein braunes Holzfällerhemd, eine dicke hellblaue Daunenjacke, Fäustlinge mit Motiven aus dem Film »The Lion King«, ein gelber Schal, eine schwarze Wollmütze mit einem ChicagoBulls-Aufnäher, weiß-blau gebatikte Jeans, zwei paar Tennissocken, darunter noch einmal dünne schwarze Damensocken – und eine lange, graue Unterhose. Das alles hatte mir die nette alte Dame von der Caritas besorgt. Sie hieß Karin Schmitt.« ||

ABBAS KHIDER: OHRFEIGE
Hanser, 2016 | 224 Seiten | Euro 19,90

VIELE KULTUREN, EINE SPRACHE
Literaturhaus, Foyer | 10. März| 20 Uhr
Lesung mit den Chamisso-Preisträgern Abbas Khider, Barbi Markoviüund Senthuran Varatharajah | Moderation: Lothar Müller

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