Die frisch sanierte Monacensia präsentiertsich mit Ausstellungen rund um das Haus, die Literatenfamilie Mann und mit einem Buch.

Blick in die Dauerausstellung »Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann«
© Eva Jünger / Münchner Stadtbibliothek

Thomas Mann und kein Ende: Seit der Wiedereröffnung der Monacensia im Dezember, die jetzt nicht mehr als »Literaturarchiv«, sondern als »Monacensia im Hildebrandhaus« firmiert, scheint sich nach dem geläufigen Begriff »Goethezeit« (für die Literatur um 1800) ein neuer, Münchner Epochenname
abzuzeichnen: die »Thomas-Mann-Zeit«, die Jahre von 1894 bis 1933 also, die TM in der Stadt verbrachte und die sich, Zufall hin oder her, ungefähr mit den Eckdaten der literarischen Moderne decken.

Wer das Haus neuerdings von der Seite, durch das noch leere Café, betritt, gerät sogleich in das einstige hohe Atelier des Bildhauers Adolf von Hildebrand, den ehemaligen Lesesaal der Bibliothek, eine großzügige, helle Veranstaltungshalle nun, der die Arbeitstische, aber auch die Bücher abhandengekommen sind. Nur wenige finden sich zum Schmökern sichtbar in den Regalen verstreut; die früheren Präsenzbestände sind in den ersten Stock umgezogen oder zum größten Teil ins Magazin am Gasteig abgewandert. Im Nachbarraum, wo früher der Zettelkatalog stand, eine Schatzkammer aus Blech mit Schlagworten und Personen, die noch den kleinsten historischen Zeitungsartikel verzeichnete (und weiter am Gasteig benutzbar bleibt), erwartet den Besucher jetzt die Dauerausstellung.

Ein Blick in die »TM-Zeit«

Hier fand ein Paradigmenwechsel statt, ganz offenkundig. Zwar ist die Monacensia mit ihrer umfassenden und vorbildlich erschlossenen München-Spezialsammlung nach wie vor als Bibliothek benutzbar, deren Bestände der allfälligen Digitalisierung unterzogen wurden oder noch werden; in den Obergeschossen gibt es auch entsprechende Bücherzimmer (zu den Manns, Gegenwartsautoren, Comics und neuer Literatur zur Stadtgeschichte) sowie Arbeitsräume für Wissenschaftler. Doch im Zentrum steht seit dem Umbau fraglos die »Hausöffnung nach allen Seiten«, wie Leiterin Elisabeth Tworek betont (Münchner Feuilleton Nr. 57/2016). Der neuen, von Tworek kuratierten Dauerausstellung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, ist sie doch gleichsam die Visitenkarte des Hauses.

Doch welches Bild vermittelt sie von der Stadt und ihrer Literatur? Ein irritierendes? Der mit eigenen Archivalien schön ausgestattete Begleitband verblüfft jedenfalls mit seinem Titelbild, denn es zeigt unter der Überschrift »Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann« wie zum Trotz weder jenes noch diesen, sondern das Ehepaar Wedekind in Berlin. Dass auf kleinem Raum nur ein schmaler Ausschnitt präsentiert werden konnte, versteht sich von selbst; und die »TM-Zeit« drängt sich da für den zeitgeschichtlich interessierten Besucher geradezu auf, keine Frage.

Wolfskehl? Heyse? Conrad?

Geschickt ausgewählte Exponate aus dem Fundus wie die Schreibtische von Oskar Maria Graf und Frank Wedekind (nebst dessen Laute), auratische Objekte wie Erika Manns Reisekoffer und Uniformjacke, Liesl Karlstadts Klarinette, Grafs Schreibmaschine, Hörbeispiele, Wandzitate, Schautafeln, Videos vermögen aber kaum darüber hinwegzutäuschen: Inszeniert wird letztlich doch der Kanon, das allzu Bekannte, Immergleiche, und das weitgehend überraschungsfrei: TM & Familie, Thoma & Ganghofer. Graf & Horváth, Valentin & Karlstadt … Das Bild, das hier von München als literarischem Ort in der dargestellten Zeit gezeichnet wird, kommt zwangsläufig nicht ohne Verzerrungen aus. Es fehlt schlicht zu viel, was nicht fehlen dürfte. Franziska zu Reventlow als Ikone der Schwabinger Boheme ist da, nicht aber der Kreis um Stefan George, in dem sie verkehrte, die »Kosmiker-Runde« mit Ludwig Klages, Alfred Schuler und Karl Wolfskehl. Ideologisch nicht opportun?

Zumindest Wolfskehl, der im neuseeländischen Exil starb, vermisst man schmerzlich. Von den Nationalsozialisten um seine Wirkung gebracht, führt sein Werk bis heute eine Schattenexistenz. Die Chance, dies zu ändern, wurde hier schlechterdings verschenkt. Wer von der Münchner Moderne spricht, darf auch nicht, wie hier geschehen, die literarischen Instanzen Paul Heyse (Nobelpreisträger und Ehrenbürger) oder Michael Georg Conrad ignorieren, die das geistige München bis weit in die »TM-Zeit« hinein entscheidend prägten, auch wenn sie später in Vergessenheit gerieten. Conrads Zeitschrift »Die Gesellschaft« war das maßgebliche Forum des Naturalismus, weit über die Stadtgrenzen hinaus. Außer dem unvermeidlichen »Simplicissimus«, bei dem die Hausheiligen TM und Thoma arbeiteten, kommen die wichtigen Zeitschriften und auch Verlage übrigens generell kaum vor.

Mann und Mann

Viel Mainstream, wenig Neues also. Andererseits: ein niedrigschwelliger Zugang zur Epoche und erster Einstieg in die Bestände des Hauses. Beides bietet auch das gut lesbare Buch, mit dem Elisabeth Tworek die Ausstellung begleitet und vertieft – und mit einer Fülle hübsch ausgewählter Fotos und Dokumenten-Abbildungen illustriert. Auch hier könnte man Fehlendes – aus den Beständen des eigenen Hauses – monieren: etwa Otto Julius Bierbaum und Waldemar Bonsels. So ist es kein Panorama der Epoche, aber zeigt doch wichtige Facetten: parallel zur Ausstellung – beginnend mit Wedekind und der Boheme in Schwabing und der Maxvorstadt, am Leitfaden der Manns. Als Zeitbegleiterin wird Anette Kolb deutlicher sichtbar, es gibt Passagen zu Grete Weil und Max Mohr, und der Fokus liegt ersichtlich auf der Zeit der
Emigration.

Das wiederum gilt auch für die Sonderausstellung, die wie früher in den ehemaligen Wohnräumen Hildebrands zu sehen ist. Denn zum Neustart gibt es, ein Jahr lang: Mann und Mann. Die Schau »Mon Oncle« hat der Mann-Spezialist Uwe Naumann kuratiert. Sie zeichnet die Beziehung und die (sich kreuzenden) Lebenswege von Onkel Heinrich und Neffe Klaus, die im Exil endeten. Damit auch deren
spannungsreiches Verhältnis zum großen Thomas Mann. Ein klares Statement: Die Monacensia ist eine bedeutende Forschungsstelle zur Familie Mann. Und mit über 300 Nachlässen und Sammlungskonvoluten, so charakterisiert sie sich selbst, »das literarische Gedächtnis der Stadt«. Lücken eingeschlossen. ||

LITERARISCHES MÜNCHEN ZUR ZEIT VON THOMAS MANN. VON DER BOHEME ZUM EXIL
Monacensia im Hildebrandhaus| Eingang
Siebertstr. 2 | Mo bis Mi, Fr 9.30–17.30, Do 12–19 Uhr, Uhr, Sa/So (nur Ausstellungen) 11–18 Uhr
Gratisführungen: Ausstellung, jew. So, 14 Uhr; durchs Haus, jew. Do, 17.30 Uhr; durch die
Sonderausstellung MON ONCLE. KLAUS UND HEINRICH MANN, jew. Do, 14 Uhr; Kuratorenführung mit Uwe Naumann: 16. März,11 Uhr (Anmeldung: lisa-katharina.foerster@muenchen.de) ||

ELISABETH TWOREK: LITERARISCHES MÜNCHEN ZUR ZEIT VON THOMAS MANN. VON DER BOHEME ZUM EXIL. BILDER,
DOKUMENTE, KOMMENTARE
Pustet, 2016 | 255 S., 500 Abb. | 28 Euro

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