Tobias M. Draeger präsentiert wieder sein erfolgreiches Solo mit Lichtspender, diesmal im Muffatwerk. Ein Gespräch über das kleine Format.

Der mit der Lampe tanzt: Tobias M. Draeger mit seiner Lichtquelle| © Anna Peisl

Das Leben als Büro: Tisch, Stifte, Post-its und eine Schreibtischleuchte, ein Mann zwischen Organisation und Chaos. »Daily Madness« heißt das Solo von und für Tobias M. Draeger. Der gebürtige Münchner hat Film und Physical Theatre Studies absolviert sowie Contemporary Dance am Konservatorium Wien und am SEAD in Salzburg studiert. Der 35-Jährige arbeitet für Film-, Theater- sowie New-Circus-Produktionen, als Tänzer, Choreograf und Oustside Eye . Gerade ist er mit Choreografie und Movement Creation für den neuen Kinofilm des österreichischen Regisseurs Markus Schleinzer beschäftigt, dessen Erstling »Michael« (2011) u. a. mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde. Draeger erhielt 2014 die Münchner Debütförderung, und der Tanzjournalist Arnd Wesemann hat ihn 2015 als Newcomer gewürdigt, denn Draeger fand erst spät zum Tanz: durch einen Workshop und die nachfolgende Audition des Choreographen Qual Bui Ngoc der belgischen Kompanie Les Ballets C de la B.
 
 
Herr Draeger, Sie arbeiten ja nicht nur als Tänzer.
Durch meinen Theater-Background bin ich relativ vielseitig aufgestellt und die Berufsfelder, in denen ich arbeite, sind divers. Als Tänzer hat mich die belgische Szene stark geprägt, weil ich da die Offenheit fand, die ich in der darstellenden Kunst lang gesucht habe, eine Offenheit frei von gezwungener Kategorisierung. Ich erlebte, dass dort mit den Menschen an sich gearbeitet wird – egal was sie für einen Background haben, Tänzer, Schauspieler, Musiker – und man dadurch auf ein gewaltig hohes Niveau gebracht wird. In der Tanz-Musik-Theater-Produktion »K.« mit Quan Bui Ngoc war zum Beispiel unser Pianist der beweglichste unter uns allen. Das konnte nur deutlich werden, da sich das Ensemble gegenseitig inspiriert hat und Bewegung für jeden Darsteller, egal aus welchem Genre kommend, für das Stück essentiell war.
 
Wie kam es dazu, dass Sie 2015 Ihr Solo in den Kammerspielen uraufgeführt haben?
Ich habe Geduld bewiesen. Ich hatte zuvor schon mal angefragt und mich auch überall umgeschaut. Für die Premiere in meiner Heimat ging es mir darum, den Raum, zu dem das Stück passt, zu finden – und nicht das Stück an den Raum zu adaptieren. Der damalige Dramaturg Matthias Günther mochte meine Arbeit  – und dann hat sich eine Lücke aufgetan.
 
Und jetzt im Muffatwerk – hier haben Sie ja schon beim Rodeo-Festival 2016 Ihre »Soloplattform« gezeigt.
Ich bin mit meinem Solo schon viel international getourt und hatte überlegt, eine Museumsvariante zu machen – denn es gab Feedback, das Stück hätte etwas stark Epochales, Museales. Jetzt bin ich doch wieder in einem Theaterraum. Die kleinste Bühne war einmal in einem alten Kloster, sechs mal sechs Meter. Die bisher größte Variante war 25 mal 25 Meter. Neben der geplanten Museumsversion arbeite ich auch an einer Outdoor-Variante – da mein Thema »absolute Dunkelheit und Helligkeit« natürlich auch in starker Verbindung zu dem Thema Lichtverschmutzung steht.

Kreiert man ein Solo, weil man selbstbestimmt forschen will oder weil es kostengünstig zu erarbeiten ist?
Ich wollte eigentlich nie ein Solo machen, da ich – gerade in unserer heutigen Gesellschaft – immer Scheu vor solististischem Arbeiten und der Gefahr einer ungewollten egomanischen Selbstdarstellung hatte und immer noch habe. Aber mit diesem Thema musste das Stück doch als Solo raus. Voller Herzblut und Enthusiasmus, egal wie. Ich habe vorab alles selbst finanziert. Indem ich zum damaligen Zeitpunkt in zwei verschiedenen Kompanien tanzte in zwei komplett konträren Produktionen, mit denen wir international getourt sind – mit Quan Bui Ngoc/les Ballets C de la B sowie mit Kristel van Issum bei Trash in Holland. Das Geld habe ich direkt in die Produktion gesteckt und mir für bestimmte Perioden ein Team dazugeholt, um die Leute so fair wie möglich in dieser Branche zu bezahlen.

Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Die Vorbereitungszeit dauerte über eineinhalb Jahre und das Erarbeiten, in intensiven Blöcken, ging auch über ein Jahr. Mich hat fasziniert und schockiert, wie schnell Menschen in eine Schwere und das Leid reinkippen können und dann in dem Stressmoment drinbleiben. Dafür wollte ich ein Format finden. Auch um erfahrbar zu machen, wo die Leichtigkeit in der Schwere stecken kann, wie viel Absurdität und Humor darin zu finden ist, wenn die Wahrnehmung dafür offen bleibt.
 
Mit Materialitäten zu choreografieren …
Das war schon immer mein Ding! Ich bin bei allem sehr haptisch orientiert, ich habe über 15 Jahre Handball gespielt. Hatte also immer eine starke Affinität zu Dingen in meinen Händen. Mein Interesse besteht immer darin, im Team zu arbeiten Und weil ich ja eigentlich nie ein Solo machen wollte, lag es auf der Hand, Gegenstände zu haben, die mit mir auf der Bühne sind – und lebendig werden. Bei der Premiere zum Beispiel hat die Lampe Dinge getan, die sie im gesamten Probenprozess übers Jahr nie zuvor gemacht hatte. Schön, dachte ich mir nach der Vorstellung, dass ich eine Mitstreiterin habe.
 
Wie war es beim Wettbewerb der euro-scene Leipzig für das beste Tanzsolo, wo Sie den zweiten Preis gewonnen haben?
Spannend. Da ich ja erst mit 28 Jahren zu tanzen begonnen habe. Ich hatte den Wettbewerb zuvor schon länger verfolgt, mich aber nie beworben, auch nicht mit anderen Stücken. Jetzt dachte ich mir, ich muss es machen, sonst … Die Grundidee des von Alain Platel konzipierten Festivals – jeder kann tanzen – war letztendlich die Bestärkung. Und es war eine Herausforderung, weil man dort – auf einem runden Tisch von sieben Metern Durchmesser – nur fünf Minuten zeigen kann. Ich musste aus dem langen Stück etwas auskoppeln, was die Kraft behält, zumal ich ja mit kompletter Dunkelheit spiele, was in diesem Raum so nicht gegeben war. Dass das Publikum in Leipzig rundherum sitzt, hat gut funktioniert, ähnlich wie bei einem Try-out, das ich in Berlin in einem Zirkuszelt gezeigt hatte. Gerade »Daily Madness« baut sehr stark auf die sinnliche Interaktion mit dem Publikum. Speziell in unseren Zeiten, in denen viele Menschen nicht mehr mit kompletter Dunkelheit konfrontiert sind . In meinen Arbeiten kommt es mir generell darauf an, die Sinne der Zuschauer intensiv mit einzubinden.
 
Damit sie im Dunkeln nicht einschlafen?
Das ist eine interessante Frage, die ich mir so noch nicht gestellt habe (lacht). Bei mir habe ich bisher niemanden schnarchen gehört. Ich habe mich stark damit auseinandergesetzt, auf der Bühne zu wissen, was man vom Publikum fordert, in welcher Verantwortung Zuseher und Performer stehen. Gerade bei einem Solo, wo ich es als Zuschauer oft narzisstisch und anmaßend fand, was der Tänzer da gemacht hat. Und durch die Lampe entsteht eine Sensibilität, die sehr zerbrechlich sein kann – in beide Richtungen. Sehr herausfordernd. ||

TOBIAS M. DRAEGER: DAILY MADNESS
Muffatwerk| Zellstr. 4 | 23./24. Feb., 20 Uhr
Tickets: produktion@draegeruco.com

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