Es muss nicht immer »Carmen« sein. Deshalb rekonstruiert das Gärtnerplatztheater George Bizets »Perlenfischer«.

Perlenfischer

Lucian Krasznec, Levente Páli, Jennifer O’Loughlin, Mathias Hausmann: die Perlenfischer| © Christian Pogo Zach

Welches Duo darf’s denn sein? Marathontenor Alfredo Kraus mit dem nuancenreichen Barry McDaniel? Das Met-Dream-Team Jussi Björling und Robert Merrill? Oder doch lieber Silberkehle Luciano Pavarotti und Tiefentaucher Nicolai Ghiaurov? In vordigitalen Rundfunkzeiten mussten diese Aufnahmen wahrscheinlich nie aufgeräumt werden, weil sich mindestens fünfmal am Tag eine Erika Mustermann aus Dingenshausen das Freundschaftsduett aus den »Perlenfischern« gewünscht hat. Und man kann es ja nicht abstreiten: Wem das vorsichtige sich-Annähern von Tenor und Bariton ins Ohr gleitet, dazu die verträumte Flöte, die sich um die beiden Stimmen windet, dem frisst sich die getragene, schlichte Melodie unwiderruflich ins Hirn.

Aber sonst? Kennt man aus George Bizets erster abendfüllender Oper allenfalls noch Nadirs Arie »Je crois entendre encore«. Oft genug hat so etwas ja gute Gründe, dann hält der Rest nicht, was der Standard des übrigen Werks verspricht. Im Fall der »Perlenfischer« war allerdings Pech im Spiel. Und bei sämtlichen Einflüssen von Wagner bis Gounod, die der gerade mal 25-jährige Bizet noch nicht ganz verbergen kann, hört man, dass da ein kluger und besonders einfallsreicher Komponist mit Sinn für klangliche Irritationen am Werk war. Kollege Hector Berlioz hatte das sofort erkannt, nach der Uraufführung 1863 war er der einzige Kritiker, der ins Schwärmen geriet und »Arien und Duette voller Feuer und großem Farbenreichtum« lobte.

Die Sache geht nicht gut aus – das hat schon dem Publikum der Premiere missfallen.

Das kann man auch heute nur unterstreichen. In den »Perlenfischern« sind Qualitäten wie das überbordende Kolorit oder dieses virtuose Pendeln zwischen lyrisch-zarter Intimität – die Flöte! – und rhythmisch reizvoller Expressivität, das die späte »Carmen« zum ganz großen Wurf macht, längst angelegt. Und die bis heute umfassend bejubelte Spanierin fiel in der ersten Instanz ja genauso sang- und klangvoll durch.

Bizet hatte ein Händchen für psychologisch feine Porträts, das war bei lediglich drei Protagonisten und einer Nebenfigur auch nötig, zumal die Geschichte um eine Ménage-à-trois im fernen Ceylon nicht allzu viel Handlung bietet. Nadir und Zurga, ein Jäger und der Anführer der Perlenfischer, haben sich bereits in jungen Jahren in die schöne Leïla verliebt. Um ihre Männerfreundschaft zu retten, schwören sie dieser Liebe ab. Als Leïla gerade Tempelpriesterin geworden und damit zur Keuschheit verpflichtet ist, taucht Nadir wieder auf der Insel auf, und die alte Leidenschaft entflammt erneut. Natürlich werden die beiden ertappt, und weil gleich zweimal ein Eid gebrochen wurde, verlangen die sonst so ausgelassen feiernden Perlenfischer die Hinrichtung des Liebespaars. Die Sache geht nicht gut aus, das hat schon dem Publikum der Premiere missfallen.

Der Druck tausender Wunschkonzerte

Denn bei allem Hang zu Stoffen aus dem Kolonialreich schätzten die verwöhnten Pariser ein glückliches Ende. Bizet nahm sich die Partitur noch einmal vor und änderte den Schluss. Doch auch nach dem Tod des Komponisten 1875 wurde munter weiter verschlimmbessert und ergänzt. Heute bevorzugt man jedoch gerne möglichst authentische Adaptionen. Und da von der Urfassung nur ein Klavierauszug existiert, hatte der Musikwissenschaftler Hugh Macdonald gut zu tun, sich dem Original kritisch zu nähern. Wie dieser frühe Bizet geklungen haben dürfte, ist in der nächsten Gärtnerplatz-Produktion erstmals in München zu erleben.

Übrigens in einer halb szenischen, also etwas mehr als rein konzertanten Aufführung, die Magdalena Schnitzler (»Brundibár«, »Salon Pitzelberger«) konzipiert hat. Das ist konsequent; Dreiecksbeziehungen sorgen zwar immer für Drive, aber die vor 150 Jahren noch einigermaßen neu empfundenen Exotismen sind heute schwer zum Prickeln zu bringen. Dafür bietet Bizet diese schillernde Musik, mit Jennifer O’Laughlin eine belcantoversierte Leïla und ein verlässliches Männerduo: Auf Lucian Krasznec (Nadir) und Mathias Hausmann (Zurga) lastet jedenfalls der Druck tausender Wunschkonzerte. Mindestens. ||

DIE PERLENFISCHER
Reithalle| 18., 20. Jan.| 19.30 Uhr | 22. Jan.
18 Uhr | Tickets: 089 21851960
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