Der Cirque Éloize startet mit feinster Körperkunst, Witz und Charme auf dem Tollwood Festival seine aktuelle Europatournee.

Das Ensemble startet seine Europa-Tournee | © Jim Mneymneh

Das Ensemble startet seine Europa-Tournee | © Jim Mneymneh

Wer mit der Erinnerung an »Cirkopolis« des Cirque Éloize nun den »Saloon« betritt, muss sich umstellen. Im neuen Projekt der Compagnie aus Kanada, die seit 1993 eine eigene Zirkusästhetik mit choreografierter Akrobatik entwickelt, geht es diesmal nicht um Großstadtmythen, sondern um den Wilden Westen, mit handfesten Themen, in erdigen Farben.

Aber kaum erlischt das erste Lagerfeuer, kaum haben die Goldgräber ihr Rumms-Intro hinter sich, geraten auch Country-und Western-neutrale Zuschauer schnell in den Bann der acht Akrobaten und der drei Musiker. Auf einem dreigeschossigen Holzgerüst tun sie all das, was auf Baustellen strengstens verboten ist: hochklettern, herunterfliegen, gegen Pole-Stangen springen, hinterm Vorhang wilde Dinge treiben. Das Gerüst dient als Hotel, Kneipe und Bank, und hier passiert alles, wofür der Wilde Westen steht.

»Der Zuschauer fiebert mit, hält sich die Augen zu und seufzt erleichtert, wenn alle wieder fest auf dem Boden stehen.«

Das Klavier wird zur Dampflok, Minenarbeiter hämmern im Takt nach Gold, Calamity Jane schwenkt das Lasso. Die Geschichten baden im Klischee, was nicht stört und auch nicht nervt, weil es einfach großartig gemacht ist. Sogar als die unvermeidliche Mundharmonika ertönt, nimmt man das gelassen hin. »Spiel mir das Lied vom Tod« erhält hier eine andere Bedeutung: Es ist atemberaubend, wie Justine Méthé Crozat im roten Kleid losrennt, zum Flug ansetzt und wie ein Magnet immer genau richtig auftrifft. Es ist wahnsinnig, wie Jules Trupin und Jérôme Hugo auf der Wippe Schwung holen, um sich in die Höhe zu schrauben und auf den Punkt sicher wieder zu landen.

Es ist unglaublich, mit welcher Geschmeidigkeit Shena Tschofen sich in einem Metallrad – genau genommen im »Cyr«-Rad, das der Cirque-Éloize-Mitbegründer Daniel Cyr 2003 erfunden hat – dreht, von innen nach außen und wieder zurück, oben drüber und unten durch. Der Zuschauer fiebert mit, hält sich die Augen zu und seufzt erleichtert, wenn alle wieder fest auf dem Boden stehen. Die Livemusiker Ben Nesralah, Sophie Beaudet und Trevor Pool unterstützen mit Liedern von Patsy Cline bis Johnny Cash, musikalisch irgendwo zwischen »echtem« Country und Folk, Fleetwood Mac, Emmylou Harris und Adele angesiedelt, die Leichtigkeit, mit der hier die Grenzen der Schwerkraft ausgelotet werden.

Eine 80-Minuten-Show, die die Zuschauer atemlos zurücklässt

Der Name Cirque Éloize wird übrigens »El Waz« ausgesprochen und bedeutet »Wetterleuchten« im Dialekt einer Inselgruppe im St.-Lorenz-Strom vor Quebec, von der die ersten Artisten der Truppe stammten. Hier funkeln Witz und Charme, mit denen die Körperkünstler die Präzision der Akrobatik und Tänze schön umspielen und verbinden: kleine Geschichten von rivalisierenden Liebhabern und glamourösen Vamps, von Pferden, Vögeln und einer Ziege. Der Regisseur Emmanuel Guillaume und die Choreografin Annie St-Pierre haben – vom ersten Lagerfeuer-Gag über das Timing der Auf- und Abtritte bis zu den schwindelnden Höhen des Schleuderbretts – eine 80-Minuten-Show kreiert, die die Zuschauer atemlos zurücklässt. ||

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