Im Marstall inszeniert der kroatische Regisseur Ivica Buljan Pier Paolo Pasolinis »Der Schweinestall« als anti-bürgerlich nuancierten Bürgerspaß.

Philip Dechamps und Genija Rykova  © Matthias Horn

Philip Dechamps und Genija Rykova
© Matthias Horn

Es sind drei; sie sind neugierig, unglaublich gechillt – und vermutlich der Hauptgrund dafür, dass es im Marstall eine Pause gibt. Denn gleich danach sind sie da: Die Schweine in Ivica Buljans Inszenierung von Pier Paolo Pasolinis »Der Schweinestall«. Zu ihnen flieht und an ihnen verlustiert sich Julian, der zur Anpassung und Rebellion gleichermaßen ungewillte Sohn des rheinischen Großindustriellen Klotz (bei Götz Schulte ein ungenierter Titten- und Unter-die-Röcke-Grabscher), der von seiner Frau (Juliane Köhler) ab und zu was auf den nackten Hintern braucht. Pasolinis Stück (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, von kannibalistischen Handlungen durchzogenen Film von 1969) spielt in den Sechzigern, als Altnazis, Waffenfabrikanten und andere Kriegsgewinnler neue Allianzen eingingen, die teils noch immer halten.

»Überhaupt kann der Abend ein hübsch schräges Personenarsenal aufbieten, ohne freilich an den surrealen BilderWahnsinn Pasolinis heranzureichen«

Thyssen-Krupp lässt grüßen. Wo die erste Inszenierung des kroatischen Regisseurs in Deutschland diese Zeit rekapituliert – etwa mit einem länglichen, betont kraftmeiernden Männer-Dialog über den NS-Arzt Herdhitze (historisch hieß er Hirt), ist ihre Strahlkraft begrenzt. Dafür steht mit Philip Dechamps als Julian einer in ihrem Zentrum, dessen irrlichterndes, feinnerviges Spiel einen linkischen Charme versprüht und ganz unpathetisch eine existenzielle Verletztheit und Sehnsucht aussendet. Überhaupt kann der Abend von der backfischhaft verliebten und schließlich übergrell ihre Erotik ausstellenden Ida Genija Rykovas bis zu Nora Buzalkas die Szenen lose aneinanderbindender Erzählerfigur ein hübsch schräges Personenarsenal aufbieten, ohne freilich an den surrealen Bilder-Wahnsinn Pasolinis heranzureichen.

Eine eigene Atmosphäre entsteht hier vor allem durch die tolle Musik: Die Schauspieler, allen voran Rykova und Buzalka, singen von Mitja Vrhovnik-Smrekar vertonte Pasolini-Gedichte – und begleiten sich dabei selbst, indem sie immer wieder wie selbstverständlich die mit Instrumenten bestückte kleine Terrasse entern, die Aleksandar Deniauf die Marstallbühne gebaut hat. »Das goethesche« Bad Godesberg ist beim Meister der drehbaren und verschachtelten Turmlandschaften, die man in München vor allem aus den Inszenierungen Frank Castorfs kennt, sorgfältig dreigeteilt: Links wohnen die Schweine in einem mit Weidengeflecht umgrenzten Koben, die Mitte ist sündig rot lackiert, und rechts herrscht ein bisschen Deni-Chaos voller Zeug und Verweise. Das passt zum Stück, in dem Klotz Herdhitze und der seinerseits Klotz in der Hand hat, weil der Sammler von Judenköpfen von der schmutzigen Sache mit Julian und den Schweinen weiß.

»Deutschland, was kannst du verdauen? Scheiße! Und was kannst du scheißen?«

In dem Julian, bevor er sich von seinen borstigen Freunden fressen lässt, noch mit Spinoza diskutiert, und man sich fragt, ob Sibylle Canonica so grantig schaut, weil sie wirklich so gar nicht in einen
Schweinestall passt oder weil es zur Rolle des Philosophen gehört. Der Abend ist angenehm offen, aber auch irgendwie unverbindlich. Spiel- und Gesangsszenen lassen einander den nötigen Platz – und sich sonst in Ruhe. Gegen Ende wird es recht wild, wenn Köhler zur Rockröhre mutiert und Schulte mit überschnappender Stimme Fragen stellt wie »Deutschland, was kannst du verdauen? Scheiße! Und was kannst du scheißen?« Pasolinis anti-bürgerliche Satire stellt in dieser Version keine neuen Fragen ans Heute, sondern macht eher Spaß. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder selbst entscheiden. ||

DER SCHWEINESTALL
Marstall | 7. Dez., 4., 11.,13. Jan.| 19.30 Uhr
18. Dez.| 19 Uhr | Tickets: 089 21851940
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