Ein Stück deutsche Kinogeschichte: »Zur Sache, Schätzchen« avancierte 1968 zum Kultfilm einer Generation. Mit ihm wurden Regisseurin May Spils und Hauptdarsteller Werner Enke zu Ikonen. München machten sie zur Hauptstadt eines neuen Lebensgefühls. Nun widmet die Pasinger Fabrik dem Fummel-Irrsinn eine Ausstellung inklusive Wiederaufführung. Wir sprachen mit Werner Enke über den Erfolg des Films, Uschi Glas’ Leinwandmagie und über den geheimen Spaghetti-König Schwabings.

Werner Enke, May Spils und Uschi Glas. © Archiv Schamoni Film und Medien Gmbh

Werner Enke, May
Spils und Uschi Glas.
© Archiv Schamoni Film und Medien Gmbh

Was war 1968 Sache, Herr Enke?
Sache war: man legte sich im Englischen Garten mit einem Reclamheft hin, und dann kam auch schon ein Blockwart an und sagte: Betreten des Rasens verboten!

Es wehte ein anderer Wind als heute.
Ich bin einmal völlig sinnlos von der Polizei verprügelt worden, das ist später auch in den Film eingeflossen.

Wie kam das?
Meine Studentenkarte für die Bahn war abgelaufen – um ein paar Minuten. Das Ganze endete mit Prügeln und Knast.

Und wie gelang es Ihnen das zu sublimieren?
Der Film war eine süße Rache. Darin gibt es eine Szene auf dem Polizeirevier. Ich mache da ein absurdes Quiz mit den Beamten. Das hatte sich in der Wirklichkeit fast genau so drei Jahre vorher auf der Wache am Münchner Hauptbahnhof abgespielt. Wenn einer der Polizisten den Film gesehen hat, muss er die Situation wiedererkannt haben.

Was ist eigentlich im Film mit Ihnen los?
Der von mir gespielte Martin ist das, was man heute als Slacker bezeichnet. Irgendwo haben wir diesen schläfrigen Typen erfunden, vorher gab es den nicht. Den totalen Verweigerer. Gegen alles: Gegen Arbeit, gegen die Polizei. Man schrieb: Enke war der erste Slacker.

Der Film und die Rolle, die Sie darin spielen, stehen auch für ein Lebensgefühl dieser Zeit.
Es geht um das Gefühl: Ich muss aufstehen und in die Schule, will aber lieber im Bett bleiben. Außer uns hatten viele junge Leute dieses Gefühl. Verweigerung und Protest gegen alles.

Das klingt fast politisch, dabei heißt es doch, die Filmemacher der Münchner Gruppe, zu der auch Sie zählen, seien unpolitisch.
Wir von der Münchner Gruppe waren überhaupt nicht politisch, wir wollten einfach Filme machen.

Also doch Gegenprogramm zu den Oberhausenern und ihrem Intellektuellen-Kino? Klaus Lemke – Vorzeige-Regisseur der Münchner Gruppe – vertritt diese Haltung bis heute – lautstark.
Ich sehe das nicht so knallhart wie Lemke. Der springt zu rigoros mit denen allen um. Wir Münchner waren im Prinzip eine zweite Welle des Jungen Deutschen Films. Allein schon die 10.000 Euro für Lemkes ersten Kurzfilm »Kleine Front«, in dem auch ich mitspiele, wären nicht zusammengekommen, wenn der Produzent Franz Seitz nicht mit Volker Schlöndorffs »Der junge Törless« zu Geld gekommen wäre.

Und Peter Schamoni – Mitunterzeichner des Oberhausener Manifests –, produzierte schließlich »Zur Sache, Schätzchen«.
Peter ist in den Film eingestiegen. May und er haben bei der Produktion dann halbe-halbe gemacht. Er hat auch Uschi Glas für den Film gewonnen. Eigentlich sollte eine Freundin von uns, die auch in Lemkes zweiten Kurzfilm mitgespielt hatte die Rolle übernehmen, aber Schamoni meinte, wir sollten jemanden nehmen, der schon einen Namen hat – den hatte Uschi sich mit »Winnetou« gemacht.

Wäre sie Ihre erste Wahl gewesen?
Wichtig war der Kontrast, den Uschi reinbrachte. Sie war kein Schwabinger Mädchen, sondern eine, die aus einer anständigen Welt kam – einer bürgerlichen. Mit einem Mädchen aus unserer Ecke wäre das nicht so toll geworden. Das zeigt sich auch an unsrer gegenseitigen Scheu in der Liebesszene. Da ist die reale Welt mit drin. Uschi hat ihre Welt mitgebracht, wir unsere.

Wie sind Sie überhaupt in die Welt der Münchner Gruppe geraten? Ursprünglich stammen Sie ja aus Berlin.
Ich bin in Berlin geboren, aber in Göttingen aufgewachsen. Dort entdeckte ich auch das Kino. Seit ich mit meiner Mutter in »Bambi« war, wollte ich nichts mehr anderes. Aber Kino war teuer und ich konnte es mir nicht leisten. Es gab bei mir eine regelrechte Gier nach dem bewegten Bild. Deshalb habe ich damals angefangen Daumenkinos zu malen – die kamen später auch im »Schätzchen« vor. Schließlich wollte ich Schauspieler werden. Und meine Oma hat gesagt: »Junge, bleib in Göttingen. Geh zum Finanzamt oder zur Sparkasse. Geh nicht in die Großstadt, das wird sonst böse mit dir enden.«

Womit wir bei geflügelten Worten aus dem Film wären. Davon gibt es einige.
Ja, Fummeln zum Beispiel. Dazu hieß es damals im Duden: sich unsachgemäß an einer Sache zu schaffen machen. Der Film hat bewirkt, dass der Duden in seiner nächsten Ausgabe erweitert wurde. Da standen seit »Schätzchen« zehn zusätzliche Bedeutungen drin. Später ist das Wort in die Schmuddelecke geraten, mit Filmen wie »Doktor Fummel und seine Gespielinnen«.

Zurück zur Münchner Gruppe. Wie haben Sie denn nun Klaus Lemke, Rudolf Thome, Max Zihlmann und Co. kennengelernt?
Ich hatte die Aufnahmeprüfung an der Münchner Otto-Falckenbergschule nicht bestanden. Also ging ich auf die Zerboni-Schule in Gauting. Dort meinte eine Mitstudentin: Du musst unbedingt ein paar Typen kennenlernen, die werden dir gefallen. Einer von denen kocht die besten Spaghetti in ganz Schwabing – das war Klaus Lemke, und das Mädchen seine damalige Freundin. Er begann dann sofort mir Kurzgeschichten von sich vorzulesen, die ein bisschen nach Hemingway klangen und ich habe ihm aus einem Drehbuch von mir vorgelesen. Uns war sofort klar: wir wollen zusammen Filme drehen.

Und May Spils?
May lernte ich dank meinem Freund Knut von der Schauspielschule kennen. Der meinte eines Tages, komm, lass uns Filme in der Bavaria synchronisieren. Dafür gibt’s zehn Mark am Tag. May war dort mit zwei anderen Mädchen ebenfalls am Synchronisieren. Diese beiden Dinge, dass ich May und Lemke kennenlernte, wären wohl nicht passiert, wenn ich an der Falckenberg-Schule genommen worden wäre.

Dem gemeinsamen Filmen stand also nichts mehr im Weg?
Ein Problem gab es: Wir hatten kein Geld. Deshalb haben May, Knut und ich eine Werbefirma aufgemacht. Wir wollten für unsere Kunden komische Filme drehen, im Stil des HB-Männchens. Lemke und ich waren als Vertreter unterwegs.

Leuten was aufquatschen, konnten Sie das?
Wir hatten sogar die Firma Rosenthal gewonnen, die wollten einen Film von uns, aber vorher wollten sie eine Arbeitsprobe sehen. Wir hatten aber nix zu zeigen. Im Bücherregal hatten wir zur Zierde nur eine Filmbüchse stehen, aus der Streifen Schwarzfilm raushing und wenn ein möglicher Auftraggeber reinkam, haben wir wichtige Telefonate vorgetäuscht: » … ja, Herr Doktor Berger, wird erledigt, auf Wiedersehen!«

Kam es zum ersehnten Kapitalfluss?
Wir brüteten weiter an Ideen. Irgendwann kam Thome an und meinte, der Seitz hat mit »Der junge Törless« Kohle verdient, jetzt können wir einen Kurzfilm drehen. So fing das an. Der erste Kurzfilm hieß »Die kleine Front« von Lemke. Heinz Klopp, Horst Söhnlein und ich kommen darin aus »Hatari« von Howard Hawks und wollen das nachmachen: statt Giraffenfangen in Afrika, Fischeklauen irgendwo im Bayerischen Wald – geht natürlich alles schief.

Im Jahr darauf drehten Sie dann den ersten gemeinsamen Film mit May Spils.
May hatte Erfolg mit »Das Porträt« gehabt, darin will ein Modegirl ein Selbstporträt malen, schafft es aber nicht und klebt am Ende ein Foto von sich auf die Leinwand. Im Anschluss daran drehte May gemeinsam mit mir in der Badewanne »Manöver«. Jean-Marie Straub, auch Mitglied der Münchner Gruppe, schaffte es, den Film im Programm von Oberhausen unterzubringen. »Manöver« hat dort die Leute sowas von angetörnt und begeistert, dass wir noch in der Nacht beschlossen haben: jetzt drehen wir einen Langfilm.

»Zur Sache, Schätzchen« wurde zu einem riesigen Publikumserfolg. Wie fühlte sich das an?
Ein bisschen haben wir uns für den Erfolg geniert. Wir haben uns dann auch zurückgezogen und sind nicht mehr so oft in den Bungalow, eine Kneipe in der Türkenstraße gegangen, wo immer alle aus der Münchner Gruppe soffen. Das gemeinsame Träumen vom Kino dort war schöner als jetzt den Erfolg verteidigen zu müssen.

Also keine gemeinsamen Trinkgelage mehr?
Die großen Saufzeiten waren irgendwann sowieso vorbei.

Beim Drehen haben sie auch alle getrunken?
In Ihrem Alter waren wir den ganzen Tag betrunken. Beim Dreh war ich aber eigentlich nie besoffen. Aber manchmal eben doch. Zumindest halbbesoffen. Vom Rauschgift aber habe ich die Finger gelassen. Ich verdanke dem Alkohol jede Menge. Zigaretten und Alkohol waren wie Benzin für mich, der Treibstoff um immer weiter zu machen.

Eine nüchterne Schule ist die Münchner Gruppe aber auch wirklich nicht.
Wenn wir nüchtern über unsere Vorhaben nachgedacht hätte, wären wir zu dem Schluss gekommen, das geht alles nicht. So aber konnten wir weiter träumen.

Stimmt es, dass das »Schätzchen« ursprünglich einen anderen Schluss haben sollte?
Der ganze Film war gedacht als verspielter Selbstmordversuch. Eigentlich wollte ich im Film so schick sterben wie Belmondo in »Außer Atem«. Ich sollte eigentlich tot sein, und Uschi weiß noch von nichts. Dann aber wurde Benno Ohnesorg erschossen und uns war das zu nah an der Wirklichkeit. Deshalb hat der Polizist mich am Schluss nur angeschossen und ich sage: da haben Sie aber nochmal Schwein gehabt.

Was wäre aus heutiger Sicht das bessere Ende?
So wie es jetzt ist, ist es völlig ok.

Zur Sache Schätzchen – Die Ausstellung zum Kultfilm der 68er
Pasinger Fabrik, Kleine Bühne | bis 29. Januar 2017
Filmvorführung am 13. Dezember| 20.15 uhr |
Vollständiges Programm und Kartenreservierung

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