Gedacht zur Wiedereröffnung des Gärtnerplatztheaters, findet die Uraufführung von »Liliom« nun in der Reithalle zum 151. Geburtstag des Theaters statt.

 Johanna Doderer © Jürgen Heimbach

Komponistin Johanna Doderer © Jürgen Heimbach

Der Ausrufer und »Hutschenschleuderer« Liliom wird von der Karussellbesitzerin Frau Muskat aus Eifersucht entlassen, als sie erfährt, dass der Vorstadtcasanova mit dem Dienstmädchen Julie eine Liaison hat. Ein Baby ist unterwegs, ein Überfall soll Geld bringen. Dabei begeht Liliom Selbstmord. Die Himmelspolizei ist gnädig, doch er ändert sich nicht. Das Schauspiel »Liliom« von Ferenc Molnár
stammt aus dem Jahr 1909, der Stoff ist in seiner Gefühlsvielfalt, lebendigen Fantasie und derb-komischen Tragik wie gemacht für die Vertonung.

Giacomo Puccini hatte Lust, aber der Schriftsteller wollte nicht, dass »Liliom« als »Puccini-Oper« populär wird. Mittlerweile gibt es Filme und das Musical »Carousel«, und Josef E. Köpplinger, dem Staatsintendanten des Gärtnerplatztheaters, gelang der Coup: Er darf eine Oper daraus machen. Sein erstes Libretto bleibt dicht am Original, er änderte nur ein Viertel des Textes. Von der neuen Vorlage schwärmt auch Johanna Doderer, Köpplingers Wunschkomponistin: »Molnár hat die zeitlose Geschichte – eingekleidet in brillante Worte – auf die Spitze getrieben. Die Personen reden immer, sagen wenig. Aber wo Sprache aufhört, beginnt die Musik.«

»Liliom« ist Doderers siebte Oper, ansonsten reicht das Schaffensspek trum der österreichischen Künstlerin von Kammermusik über Orchesterwerke bis zu Lieder- und Chorliteratur. Für Köpplinger, der das Schauspiel 2006 in St. Gallen inszenierte, steht das Karussell sinnbildlich für eine Gesellschaft, aus der es kein Entweichen gibt. Die Figuren kommen nicht vom Fleckund träumen davon, von Budapest nach Wien zu gelangen. Ihr Leben verläuft wie auf Schienen. »Vielleicht ist das Ganze nur eine kurze Eisenbahnstrecke irgendwo auf der Welt.«

Das Stück lässt er in der Entstehungszeit spielen und vertraut auf Rainer Sinell, der eine Bühne ohne Jahrmarkt baut, und auf Alfred Mayerhofer, bekannt für seine stilvollen Kostüme. Liliom ist ein richtiger Strizzi, ein hartherziger Magnet, für den die Muskat alles war: Gouvernante, Ersatzmutter und Liebhaberin. Sein Verhalten ist jedoch nicht denkbar »ohne die sozialen, wirtschaftlichen und familiären Abhängigkeiten«, formuliert Köpplinger einen inhaltlichen Schwerpunkt. Ein anderer ist das »Dulden aus Liebe«: »Julie wird defloriert, ist schwanger,und das war’s. Warum geht sie nicht weg?«

Die szenischen Ideen dienten Doderer als Inspirationsquelle genauso wie die Atmosphäre am Rummelplatz. Tonalität schließt sie nicht aus. Die musikalischen Grundzüge entwarf die Komponistin auf Thementafeln, um dann in einer »wahnsinnigen Knochenarbeit« ungefähr drei Jahre an der Oper zu arbeiten. »Wenn ich mich selbstvergessen mit meinem ganzen Mensch-Sein hingebe, kommen die Klänge aus mir heraus. Ich reduziere radikal aufs Wesentliche. Das führt zur Purheit, die das Publikum berührt.«

Das Werk für großes Orchester mit Chor und Kinderchor dirigiert Michael Brandstätter, der die Komponistin aus gemeinsamen Studienzeiten kennt. Die Rollen sind für die Idealbesetzung mit Daniel Prohaska als Liliom und Angelika Kirchschlager als Muskat maßgeschneidert. Wird es deshalb ein singuläres Ereignis? Die Oper kann laut Doderer von jedem Haus dieser Größe aufgeführt werden, und laut Köpplinger steigt die Wahrscheinlichkeit sogar, weil sie für klassische Stimmfächer geschrieben ist. Das führt zur Gretchenfrage, die sich jeder Intendant stellen muss: »Wie hast du’s mit den Uraufführungen?«

Köpplinger fand einen klaren Weg: »Jedes Budget eines Theaters ist abgegrenzt. Ich habe einen bestimmten Etat geschaffen für Uraufführungen. Das liegt an der Ausrichtung des Gärtnerplatztheaters als Opéra comique, die Spieloper, Operette, Rock oper, Musical und den Tanz in allen Facetten beinhaltet.« Da darf Zeitgenössisches nicht fehlen. Das Haus glänzt mit gut verkauften Ur- und kontinentalen Erstaufführungen und punktet mit Kooperationen. Ein Projekt von Peter Turrini und Doderer, eine Revue Operette, ein Ballett, ein Familienmusical und eine Familienoper sind geplant. Haben diese Stücke eine zweite Chance? Der Staatsintendant: »Ich mache Uraufführungen und biete sie danach an. Und würde andieser Stelle das Feuilleton bitten, bei einerspannenden Produktion zum Weitermachen anzuregen.«

Außerdem benennt er ein Paradoxon: »Einerseits klammern wir uns alle an ein Opern-Kernrepertoire, das über seine innewohnende Poesie und Kraft zum Meilenstein und Allgemeingut wurde, andererseits besteht in unserer kurzlebigen Zeit das starke Bedürfnisnach Neuem.« Doderer istoptimistisch: »Ein Opernhaus ist ein Riesenapparat und hat andere zeitliche Dimensionen. Es hat gedauert, jetzt bin ich mit meiner musikalischen Sprache anerkannt. Die eine oder andere meiner Opern wird sich bestimmt durchsetzen.« Haargenau passend ist das Belohnungsritual, das sich die Komponistin auch nach der Abgabe von »Liliom« gegönnt hat: »Wenn ein Stück fertig ist, gehe ich in den Wiener Prater und fahre dort mit dem 117 Meter hohen Kettenkarussell.« ||

LILIOM
Reithalle| Heßstr. 132
4. (UA), 6., 8., 11., 12., 16., 17., 19. Nov.
19.30 Uhr (6.11. um 18 Uhr) | Tickets:
089 21851960 | www.gaertnerplatztheater.de

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